Holocaust-Leugnung im Netz gibt es schon länger. Ein neueres Phänomen ist die Verspottung und Verzerrung des Holocaust. Wie das auf Social-Media-Plattformen geschieht, beleuchtet nun erstmals eine neue Studie der UNO und Unesco. Die Ergebnisse seien alarmierend, sagt Historikerin Heather Mann, die die Studie koordiniert hat.
SRF: Was fanden Sie an der Studie besonders auffallend?
Heather Mann: Ich finde es schockierend, wie viele Posts bei Telegram den Holocaust verleugnen und verzerren. Fast 50 Prozent insgesamt und 80 Prozent bei den deutschen Inhalten. Das ist alarmierend.
Warum ist diese Untersuchung wichtig?
Die Studie antwortet auf die vielen Fälle von Verleugnung und Verdrehung des Holocaust bei Social Media, auf die wir bei der Unesco und der UNO gestossen sind.
Bei Telegram entsteht eine Internet-Subkultur voller Hass.
Wir gleisten die Studie gemeinsam mit dem World Jewish Congress auf, um das genauer zu untersuchen. Holocaust-Leugnung ist leider kein neues Phänomen, es begleitet uns seit Jahrzehnten.
Doch die Verzerrung des Holocaust ist ein viel komplexeres Thema. Manche Formen sind sofort als antisemitisch zu erkennen, bei anderen ist das schwieriger. Da braucht es Fachwissen.
Warum ist Verzerrung schwerer zu erkennen?
Weil es so viele verschiedene Formen davon gibt. Während der Pandemie haben wir gesehen, dass viele Menschen den Holocaust nutzten, um gegen die Politik zu protestieren. Sie verglichen etwas Unvergleichbares, um sich zu beschweren.
Weitere Formen sind Glorifizierung und Verspottung. Menschen sagen also nicht, dass der Holocaust nicht stattfand, sondern benutzen ihn als Witz. Das finde ich verstörend.
Solche Formen ziehen Follower an und radikalisieren. Das Gefährliche ist, dass antisemitische Vorurteile durch Witze schneller und breiter gestreut werden.
Können Sie auch etwas über die Motive der Menschen sagen, die solche Inhalte posten?
Nicht direkt. Aber auffallend waren die vielen alten antisemitischen Vorurteile. Bei Telegram waren sie besonders extrem und hasserfüllt.
Diese Formen von Hate-Speech stehen bei Telegram neben Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Islamophobie und anderen extremistischen Inhalten. Dort entsteht eine Internet-Subkultur voller Hass.
Die Studie führt das darauf zurück, dass es bei Telegram keine Strategie zur Regulierung solcher Inhalte gibt.
Von allen fünf Plattformen, die wir untersuchten, ist Telegram die einzige, die das gar nicht hat. Alle anderen haben Holocaust-Leugnung verboten. Deshalb wird Telegram zu einem sicheren Hafen für Menschen, die den Holocaust leugnen oder verdrehen wollen.
Bei den deutschsprachigen Telegram-Inhalten waren es sogar 80 Prozent, die den Holocaust verleugnen oder verzerren. Woran liegt das?
Die Studie konnte nicht nachvollziehen, aus welchem deutschsprachigen Land die Posts kamen. Dennoch wurde deutlich, dass viele deutsche Posts einen Bezug zur Geschichte, zu Nazi-Deutschland hatten.
Es braucht starke Gegenkampagnen.
Sie unterrichteten zum Thema Holocaust. Was folgern Sie daraus?
Es ist unser aller Verantwortung, die Geschichte historisch korrekt zu erinnern. Doch Länder, die so ein schwieriges Erbe haben, haben zusätzlich die Verantwortung, sich der Geschichte zu stellen. Deshalb formulieren wir so viele Handlungsempfehlungen für Regierungen, Plattformen und für die Bildungsverantwortlichen.
Zum Beispiel?
Es braucht starke Gegenkampagnen. Zum Beispiel leiten Facebook und TikTok Menschen auf eine Bildungsseite um, welche die Unesco mit aufgebaut hat – mit Fakten zum Holocaust.
Das Gespräch führte Dorothee Adrian.