Mein Papa, der Hausmann: Salome Müllers Vater war daheim – ihre Mutter arbeitete als Primarlehrerin. Sie wäre eine andere Frau geworden, wäre ihr Vater nicht Hausmann gewesen, sagt die heute 31-jährige Journalistin und Autorin des bemerkenswerten Büchleins «Love, Pa». Salome Müller über Vatertage im Kindergarten und ihr Männerbild von heute.
Was bedeutet Männlichkeit für die Tochter eines Vaters, der hauptberuflich Hausmann war?
Letztlich wohl, dass auch ein Mann sich gerne um seine Kinder kümmert und sich für sie interessiert. Dass er seiner Tochter die Haare kämmt, sie am Morgen anzieht, ihr Geschichten erzählt. Dass ein Vater anwesend sein kann.
Wie war er denn?
Mein Vater war der einzige Mann, der vor dem Kindergarten wartete. Ich habe erst später gemerkt, dass da sonst nur Mütter standen.
Erst als ich grösser wurde, habe ich begriffen, dass andere einen Unterschied zwischen Vater- und Mutterrolle machen. Dieser Unterschied war für mich nie da.
Und doch gab mir mein Vater als Mann Dinge mit, die mir meine Mutter als Frau nicht hätte geben können.
Was zum Beispiel?
Er sagte mir oft: «Stell dich hin und zeig die Zähne!» Er wollte, dass ich mich durchsetze. Dass ich in Kauf nehme, auch mal nicht zu gefallen. Meine Mutter – die Tochter von Italienern, die noch in der Fabrik arbeiteten – war da angepasster.
Wann haben Sie gemerkt, wir sind ein Sonderfall?
Eine Ahnung bekam ich im Kindergarten, wo es jeweils am Muttertag hiess: «Für Salome ist heute Vatertag!»
Was dann meine Mutter, eine Primarlehrerin, ein bisschen blöd fand. Weil sie zu Recht sagte, ich mache ja nicht nichts zuhause.
«Männer sehen gewisse Dinge anders», schreiben Sie in «Love, Pa». Bitte wie denn?
Männer wissen besser, dass sie Raum einnehmen können. Dass ihnen der Raum auch gehören kann. Dafür braucht es eine gewisse Arroganz, die den Frauen oft fehlt.
Männer wissen besser, dass sie Raum einnehmen können.
«Geh du arbeiten, das willst du eh lieber», soll Ihr Vater seiner Frau gesagt haben. Ob ihm der Satz leicht über die Lippen ging?
Es mag auch bequem gewesen sein. Meine Mutter wollte immer Lehrerin werden. Mein Vater hatte sein Studium nicht abgeschlossen, kein klares Berufsziel vor Augen und gefiel sich in der Rolle des Rebellen.
Diesen Entscheid fällten meine Eltern aber auch im Wissen darum: Es ist doch blöd, an einem Konzept festzuhalten, das weder ihm entspricht noch seiner Frau.
Es hat zwar immer gedauert, bis Sie zufrieden waren. Aber Ihr Vater konnte Ihre Haare zum Rossschwanz binden. Was kann ein Hausmann nicht?
Als Teenager empfindet die Tochter vielleicht eine gewisse Scham, was den eigenen Körper betrifft. Ich habe mit meinem Vater zum Beispiel nie über Verhütung oder Menstruation gesprochen.
«Die meisten meiner Freunde haben ihre Väter nur von hinten gesehen, wenn sie zum Arbeiten gingen», bemerken Sie in «Love, Pa».
Als ich im Ausgang einmal erzählte, ich hätte die gleichen Füsse wie mein Vater, fragte eine Kollegin erstaunt: «Du weisst, wie die aussehen?»
Viele meiner Freundinnen und Freunde haben ihre Väter immer nur auf dem Sprung gesehen.
Laut einer Studie der Pro Familia wünschen sich 90 Prozent der Schweizer Männer eine Reduktion der Arbeitszeit – auch um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Warum bleibt es oft beim Wunsch?
Weil viele Männer das Gefühl haben, sie müssten auf etwas verzichten. Ich kann das verstehen. Auch ich definiere mich ziemlich stark über meine Arbeit.
Geben Frauen noch immer zu schnell klein bei, wenn die Männer sich zuhause abmelden, weil die Arbeit ruft?
Zum Teil. Aber es fängt ja schon vorher an: Wenn auch die Frau arbeiten geht, verteilt sich die Pflicht und das Verständnis für den jeweils anderen nimmt zu.
Wir Frauen wissen auch nicht immer so genau, was wir dürfen.
Auch in Ihrem eigenen Umfeld?
Da ist halt die grosse Angst, dass man grosse Töne spucken kann, wenn man noch kinderlos ist. Und dann heisst es, sobald das erste Kind da ist: «Weisst du, mein Mann verdient eben mehr.»
Weil die Vorbilder fehlen, die Sie zuhause hatten?
Wahrscheinlich. Ohne meine Eltern würde auch ich vielleicht denken, das ist nicht möglich.
Ein Satz zu den Männern, die sich als Opfer der Emanzipation selbst bemitleiden?
Willkommen im Club! Wir Frauen wissen auch nicht immer so genau, was wir dürfen und was wir sollen. Vielleicht ist das der ideale Ausgangspunkt, das gegenseitige Verständnis zu fördern. Da kann man sich annähern.
Hat der Mann von heute kapiert, was es geschlagen hat?
Ja. Aber es ist alles noch sehr fragil. Wie meistens, wenn sich etwas entwickelt und verändert. Ich hatte mal mit einem älteren Herrn eine Begegnung. Er sagte als erstes: «So hübsche Frauen arbeiten beim Tages-Anzeiger?»
Ich brauchte als Journalistin etwas von ihm. Er denkt, mein Äusseres kommentieren zu dürfen. Das nervt. Er nimmt sich einfach den Raum – ihm doch egal, dass er mir auf die Füsse tritt.
Womit wir wieder bei Ihrem Vater wären, dem Hausmann. Was ist das Wichtigste, das er Ihnen mitgegeben hat?
Er sagte immer: «Du bist ja einen Kopf grösser als die meisten – mach' dir das zunutze!» Manchmal gelingt mir das.
Ich habe mit meinem Vater nie über Verhütung oder Menstruation gesprochen.
Und da war der Rat: «Du kannst etwas falsch gemacht haben. Aber deswegen musst du dich nicht kleiner machen als nötig.» Man kann sich auch Fehler verzeihen.
Und von Ihrer Mutter?
Wir können über alles reden. Auch wenn man sich für etwas schämt, soll man es trotzdem sagen dürfen. (lacht) Ich glaube, das hat sie auch meinem Vater beigebracht.
Das Gespräch führte Stefan Gubser.