Die gefälschten «Hitler-Tagebücher» stehen erneut in den Schlagzeilen: 40 Jahre, nachdem der «Stern» die vermeintliche Sensation publik machte, hat der Norddeutsche Rundfunk (NDR) die gefälschten Bücher digital aufbereiten lassen. Seit dem Abend des 23. Februars sind die insgesamt 60 Bände der Fälschungen auf der NDR-Website abrufbar.
Kopien mit KI aufbereitet
Die Aufbereitung der handschriftlichen «Tagebücher» sei mit Kopien der Originale erfolgt, teilte der Sender mit. Die Originale der gefälschten «Hitler-Tagebücher» liegen gesperrt beim «Stern» im Verlag Gruner+Jahr, der mittlerweile zum RTL-Konzern gehört.
Diese Kopien seien mithilfe von Künstlicher Intelligenz in ein Transkript übersetzt worden. Dieses erlaubt es, nach einzelnen Schlagworten zu suchen.
Wie der NDR mitteilte, stammen die Kopien aus verschiedenen Quellen: unter anderem etwa aus dem Nachlass der Journalistin und Holocaust-Forscherin Gitta Sereny, dem Vorlass des Strafverteidigers Kurt Groenewold, der zuletzt auch den «Tagebuch»-Fälscher Konrad Kujau vertreten hatte, und aus dem Kujau-Kabinett, einem Museum für Fälschungen.
Wissenschaftlich begleitete Publikation
Die digitale Veröffentlichung des NDR begleitete ein wissenschaftlicher Beirat. Diesem gehörten unter anderen der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke und die Historikerin Heike Görtemaker an, die mit Publikationen über Eva Braun und «Hitlers Hofstaat» bekannt wurde.
Beide bewerten die Inhalte der «Tagebücher» als Geschichtsfälschung. «Kujau erfindet hier eine positive Hitlerfigur», sagte Görtemaker und kritisierte: «Der fiktive Hitler hat mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nichts zu tun.»
Projekt der «Hardcore-Holocaustleugner»
Das bestätigt auch der NDR-Investigativjournalist John Goetz, der monatelang zu den Tagebüchern recherchiert hat. In den Tagebüchern sehe man «einen systematischen Versuch, Hitler von den schlimmsten Verbrechen der Nazis freizusprechen.»
Zudem habe man neue Erkenntnisse über die Gruppe um den Fälscher erlangt: «Es waren Hardcore-Holocaustleugner und Neonazis», so Goetz. «Man hat zwar gewusst, dass Konrad Kujau eine merkwürdige Beziehung zu Nazis hatte – aber man hat das nicht so richtig wahrgenommen.» In der Öffentlichkeit galt Kujau denn auch eher als «sympathischer Fälscher», der sogar in der Fernsehshow «Wetten, dass …?» auftrat.
Weshalb hinterfragte man seine wahren Beweggründe nicht stärker? «Man hat die Tagebücher damals nie lesen können», sagt Goetz mit Blick darauf, dass der «Stern» nur Auszüge publizierte. Auch die Verfilmung des Falls als Satire («Schtonk!», siehe Box) hätte dazu beigetragen, dass sich das Narrativ «Kujau veralbert die Mächtigen» so lange halten konnte.
«Diese Veröffentlichung ist wichtig, um lesen zu können, wie nah wir einer Rehabilitierung Hitlers gekommen waren», so Goetz. «Die ‹Stern›-Verantwortlichen haben damals tatsächlich gedacht, dass Hitler vom Holocaust nichts wusste.» Und sie wären bereit gewesen, diese Botschaft in 30 Magazinausgaben der Welt mitzuteilen.
Der Medienkonzern Bertelsmann, zu dem die Gruner + Jahr-Zeitschrift «Stern» gehört, teilte am Freitag mit, man wolle den Umgang des Unternehmens mit den gefälschten Tagebüchern untersuchen. Den Auftrag habe das Institut für Zeitgeschichte in München erhalten. Laut Bertelsmann wird diese historische Analyse mehrere Jahre in Anspruch nehmen.