Ein mittelgrosser Raum, die Wände schwarz verkleidet. Rundum hängen grossformatige schwarzweisse Porträts der Holocaust-Überlebenden. Sie blicken einem direkt ins Gesicht.
Kein Detail in den zum Teil von tiefen Furchen durchzogenen Gesichtern verrät, was diese Menschen erlebt haben. Fast alle blicken sie heiter und offen in die Kamera. Nur ein einziges Bild ist anders.
Ein Bild, das aus dem Rahmen fällt
Es ist das von Nina Weil. Mit ihrem Arm verdeckt sie ihr Gesicht und gibt die tätowierte fünfstellige Nummer auf ihrem Unterarm preis. Sie wurde ihr in Auschwitz zugefügt.
Mit zehn Jahren wurde sie aus Prag nach Theresienstadt deportiert. Später kam sie nach Auschwitz. Sie überstand eine Selektion durch den KZ-Arzt Josef Mengele und wurde in ein Arbeitslager geschickt.
Dass sie überlebt hat und heute ihre Geschichte der Öffentlichkeit erzählen kann, hat sie einer Reihe von Zufällen zu verdanken.
Und ihrer Mutter: «Meine Mutter hat mich immer älter gemacht. Darum habe ich auch überlebt. Ich wurde 1932 geboren, sie hat mich aber fünf Jahre älter gemacht.»
Leben mit dem Erlebten
Ihre Mutter starb noch im Lager. Nach der Befreiung war Nina Weil ganz allein auf sich gestellt. Über das Erlebte konnte sie erst mit ihrem Mann sprechen. Nie hat sie eine psychologische Betreuung angenommen.
Sie hat gelernt, damit zu leben. Aber vergessen konnte sie nie: «Man muss es selber verkraften. Ich schreie manchmal in der Nacht. Wenn wir zum Beispiel einen Deutschen antreffen, der mich an den Akzent eines Deutschen im Lager erinnert.»
Bis zum Prager Frühling lebten sie und ihr Mann in Prag. Da wurden sie erneut zu Verfolgten und fanden Asyl in der Schweiz.
Schäferhunde, Viehwaggons und Leichen
Für die Ausstellung standen Nina Weil und rund ein Dutzend andere Überlebende dem Fotografen Beat Mumenthaler Porträt. Es sind schlichte, aber ausdrucksstarke Bilder geworden.
Unter den Bildern stehen kurze biographische Angaben und ein kurzes Zitat aus den Filmporträts, die der Zürcher Regisseur Eric Bergkraut zusätzlich für die Ausstellung umgesetzt hat.
Die Überlebenden erzählen davon, wie sie ihren Vater, ihre Mutter zum letzten Mal sahen. Sie erinnern sich an Schäferhunde, Viehwaggons und Leichen.
Sie berichten, wie sie das Vertrauen in die Menschen verloren haben. Oder vom Schuldgefühl – ohne Verdienst – am Leben geblieben zu sein.
Erinnerungen für die Zukunft
Die fotografischen und filmischen Dokumente sind auch als Archiv für die Zukunft gedacht, sagt Anita Winter, Präsidentin der Gamaraal Stiftung, die die Ausstellung konzipiert hat. Die Zeitzeugen seien unersetzlich.
«Für zukünftige Generationen ist es wichtig, den Überlebenden zuzuhören, wenn sie über Erfahrungen und Erinnerungen reden, die fast nicht in Worte zu fassen sind – und zu hören, wozu Menschen fähig sind.»
Umso wichtiger sind deshalb die Zeugnisse der Ausstellung. Sie helfen mit, dafür zu sorgen, dass auch in Zukunft die Verbrechen des Holocausts nicht in Vergessenheit geraten.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 01.05.2017, 17:15 Uhr.