Schulen zu, Kindergärten geschlossen: Wegen der Coronakrise müssen viele Eltern zuhause vor dem Computer arbeiten. Wie lassen sich Stress und Streit mit dem Nachwuchs verhindern, der nebenher spielt oder lernen soll?
Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort weiss, wie die Herkulesaufgabe Homeoffice mit Kids nicht zum Horror wird.
SRF: Wie kann man sich im Homeoffice mit Kindern organisieren, damit es nicht zu Wutausbrüchen und Tränen kommt?
Michael Schulte-Markwort: Zunächst muss man sich selbst prüfen. Mit welcher Haltung bin ich gerade unterwegs? Wie viel Angst habe ich? Wie hoch ist mein Stresspegel? Die Eltern stehen in der Pflicht, den eigenen Stresspegel so zu regulieren, dass sie ihn nicht auf die Kinder übertragen.
Dann geht es darum, zu vermitteln, dass Quarantäne nicht Gefängnis bedeuten muss. Sie bietet auch eine Chance, miteinander Dinge zu tun, die man normalerweise nicht tut. Man kann den Tag strukturieren, und dieser Tag sollte so aussehen, dass alles drin vorkommt.
Das heisst?
Es gibt Zeiten, in denen jeder für sich in seinem Zimmer ist. Wobei das vom Alter der Kinder abhängt. Ansonsten gibt es gemeinsame Mahlzeiten und Zeiten, in denen man miteinander arbeitet und miteinander spielt.
Es darf natürlich auch mehr PC-Spiele oder Fernsehen geben. Das können Kinder ganz gut verkraften.
Was bedeutet es denn für Kinder, nicht in die Schule gehen zu können?
Ich höre ganz Unterschiedliches. Ich höre Kinder, die sagen: Ich bin entlastet, weil ich weniger Zeitdruck habe. Weil ich ganz anders lernen kann. Weil ich nicht abgelenkt werde.
Mein Eindruck ist, dass viele Schulen sehr kreativ darauf reagieren – gerade in Sachen E-Learning. Es gibt hervorragende Radiosendungen, die Schule ersetzen können. Es gibt Fernsehsendungen, die Schularbeiten sein können.
Es bietet sich jetzt auch die Chance, sich mit neuen Lernformen auseinanderzusetzen.
Ich bin sehr dafür, nicht krampfhaft zu denken, wir dürfen auf gar keinen Fall irgendeinen Schulstoff verpassen.
Eine Kollegin hat auf Facebook geschrieben, ihre Buben würden jetzt backen, putzen und bügeln lernen. Müssen wir vielleicht das Lernen neu definieren?
Ich bin sehr dafür, nicht krampfhaft zu denken, wir dürfen auf gar keinen Fall irgendeinen Schulstoff verpassen. Das Leben geht weiter, wenn wir auch etwas anderes gelernt haben.
Es ist doch gerade ein Zeichen einer Krise, dass Kinder erleben: Wir machen einen Schulterschluss. Wenn das Backen und Putzen und Kochen ist – warum nicht.
Wie mache ich denn als Mutter oder als Vater meinen Kindern begreiflich, jetzt ist nicht Spielzeit, ich muss jetzt zwei Stunden am Stück arbeiten.
Das ist altersabhängig. Aber man kann das Kindern schon klar machen, wenn man sagt: Du musst jetzt mithelfen. Deine Hilfe besteht im Moment darin, dass du mich die nächsten zwei Stunden arbeiten lässt.
Dürfen wir unseren Kindern vielleicht auch etwas mehr Selbstständigkeit zutrauen? Wachsen sie auch an dieser Situation?
Krisenbewältigung heisst, dass man an Ressourcen glaubt. Dass man andere Chancen appelliert, ohne moralisierend zu werden.
Ich bin sicher, dass wir als Gesamtgesellschaft dadurch lernen können, was Solidarität bedeutet. Oder wie man so etwas lebt. Dass Kinder das erleben, tut ihnen nur gut – wenn wir es richtig machen.
Das Gespräch führte Katrin Becker.