Melker krank, Kuh vermisst, Gemüt betrübt: Wer auf der Alp nicht mehr weiter weiss, greift zum Handy. Die «Alpofon»-Hotline hilft seit knapp 20 Jahren den Älplerinnen und Älplern in allen Lebenslagen.
Wenn jemand weiss, wo des Älplers Bergschuh drückt, dann Barbara Sulzer. Sie hat die Hotline 2001 mitbegründet und trägt seither das «Sorgentelefon für Älpler» bei sich, Sommer für Sommer.
SRF: Im Jahresbericht 2018 des Alpofons heisst es: «10 ÄlplerInnen sind einfach gegangen oder ‹heimlich› verschwunden.» Und weiter: «12 gingen wegen Überforderung». Wird der Beruf des Älplers und der Älplerin unterschätzt?
Barbara Sulzer: Vielfach schon. Leute, die erstmals auf eine Alp gehen, wissen oft nicht genau, auf was sie sich einlassen. In den letzten Jahren gab es viele Filme und Medienberichte, die das Alpleben eher beschönigt haben. Aber 14-Stunden-Tage, Melken, Zäunen, Käsen – das fordert, das ist ein Krampf. Das unterschätzen viele.
Manchmal kommen auch kulturelle Unterschiede dazu: Manche Bäuerinnen und Bauern haben vielleicht einen kleineren Horizont oder stehen dermassen unter Arbeitsdruck, dass sie wenig Geduld haben mit den «Neuen». Dann werden sie murrig.
Damit der Bauer wenig zu Murren hat: Was ist Ihr Rat an Alp-Neulinge?
Zuallererst: Sich auf lange Arbeitszeiten einlassen. Man arbeitet, bis die Arbeit gemacht ist. Und man soll sich bewusst sein: Man fängt auf der untersten Wissensstufe an.
In den letzten Jahren gab es viele Filme und Medienberichte, die das Alpleben eher beschönigt haben.
Auch wenn man einen akademischen Abschluss hat – die Bäuerinnen und Bauern haben lebenslange Erfahrung und wissen, wie es geht. Das muss man annehmen können.
Haben denn Akademiker oft das Gefühl, sie wüssten es besser?
Das kann man so nicht sagen. Einzelfälle gibt es natürlich. Etwa der Maturand von der Zürcher Goldküste. Schon kurz nach seinem Arbeitsbeginn hat sich der Vater ganz überrascht bei mir gemeldet: Der Sohn würde das nicht länger durchstehen, obwohl sein Sprössling doch die beste Matur von allen gemacht habe … (lacht).
Nicht können ist das eine – nicht wollen das andere: In Ihrem Jahresbericht gibt es extra eine Kategorie für Faulenzer. «Entlassen, da Nichtsnutz» kam 2018 immerhin zehnmal vor. Zieht die Alp vermehrt Leute an, die es sonst in der Arbeitswelt schwierig haben?
Zum Teil vielleicht. Langzeitarbeitslose etwa, die es auf der Alp versuchen wollen. Mit den meisten Interessenten habe ich nur schriftlichen Kontakt, da ist eine Einschätzung schwierig. Ich hatte sogar schon den Fall, wo sich Leute auf der Alp vor der Polizei versteckt hatten und sich in der Hütte einschlossen.
Und dann gibt es immer mal wieder Bäuerinnen und Bauern, die melden, dass ihre Älpler morgens einfach nicht aus dem «Nest» kommen, nicht aufstehen wollen. Andere liegen nach zwei Stunden Arbeit bereits mit einem Buch in der Wiese. Oder haben schon vormittags die Schnapsflasche bei sich.
Alkoholismus, ein grosses Problem auf der Alp?
Das Thema Alkohol kommt jedes Jahr ein, zwei Mal zur Sprache. Was auch jedes Jahr vorkommt, ist sexuelle Belästigung.
Alkoholmissbrauch und sexuelle Belästigung kommen jedes Jahr vor.
Gerade eben hat sich eine Älplerin bei mir gemeldet, der Bauer habe Annäherungsversuche gemacht. Sie ist auf einer kleinen Alp, quasi allein, und möchte nun dringend weg.
Bald 20 Jahre am Sorgentelefon, Jahr für Jahr die gleichen Probleme – haben Sie nicht manchmal genug?
Ich bin ja selbst vom Alpfieber angesteckt, ging früher viele Sommer z’Alp, bis ich aus familiären Gründen im Tal blieb. Durch das Alpofon habe ich das Gefühl, ein wenig am Ball zu bleiben: Bei jedem Telefon geht ein kurzes Fenster zur Alpenwelt auf. Ich höre zu, probiere zu helfen. Bis das Fenster wieder zu geht.
Das Gespräch führte Christian Schaub.