- Die Angst vor dem Islam beruhe in Europa nicht auf Tatsachen, sagt Islamwissenschaftler Abbas Poya.
- Die Diskussion um Vollverschleierung nutze im Westen vor allem einer politischen Klasse, die auf Reizthemen setzt.
- Die Burkadebatte nütze den Islamisten: Für Poya setzen sie auf Intoleranz und auf die Klassifizierung der Gesellschaftsgruppen in Gute und Böse.
In der Schweiz sorgt derzeit ein mögliches Burkaverbot für viel öffentliche Aufmerksamkeit, obwohl es in diesem Land kaum Musliminnen gibt, die ihr Gesicht ganz verhüllen. Wie ist die teilweise sehr emotionale Diskussion zu erklären?
Abbas Poya: Schwer! Die Burka gehört zu den sehr seltenen Erscheinungen auf den Strassen. Sie hat keine theologische Grundlage im Koran und wird von der grossen Mehrheit der Muslime abgelehnt.
Einige politische Kräfte haben es dennoch geschafft, diese Form der Totalverschleierung zum zentralen gesellschaftlichen Thema zu machen. Sie betreiben auf diese Weise eine Symbolpolitik und lenken damit von den eigentlichen sozialen und wirtschaftlichen Fragen ab.
Inwiefern ist die Burkadiskussion typisch für die Art und Weise, wie Muslime und Nicht-Muslime miteinander umgehen?
Abbas Poya: Im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Schule, auf der Strasse und in der Nachbarschaft haben die Menschen einen entspannten Umgang miteinander. Sie wissen, sie müssen miteinander auskommen, und sie gehen respektvoll miteinander um.
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Die Burkadiskussion ist aber bezeichnend für die politische Klasse, die zum Teil leider wenig auf Themen setzt, die für die soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Belange relevant sind. Diese politischen Kräfte arbeiten vielmehr mit Reizthemen, die Konflikt und Spannung in der Gesellschaft erzeugen und ihrer Klientelpolitik dienen.
Welche politischen Kräfte profitieren denn von der Burkadiskussion?
Rechte, Populisten und all diejenigen, die sich nicht für gesamtgesellschaftlich wichtige Themen interessieren, und die einen gewissen Klientelismus betreiben. Das sind die Kräfte, die auf Ausgrenzung setzen und kaum Verständnis für die kulturelle Vielfalt aufbringen.
Profitiert auch die islamische Seite?
Die Islamisten auf jeden Fall. Sie setzen genauso auf Spaltung, auf Ausgrenzung und stehen für Intoleranz und Klassifizierung der Gesellschaftsgruppen in Gute und Böse.
Die Burkadiskussion ist vermutlich auch Ausdruck der Angst vor einer schleichenden Islamisierung des Westens. Ist diese Angst berechtigt?
Eine solche Angst beruht nicht auf Tatsachen. Die Muslime bilden in Europa eine Minderheit. Daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Die allermeisten von ihnen sind gegen den politischen Islam und sind überzeugt von Demokratie und Menschenrechten.
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Es gibt sicherlich eine kleine Anzahl von Menschen islamischen Glaubens, die von einer weltweiten Islamisierung träumen. Diese Vorstellung ist jedoch genauso irreal wie die Angst davor.
Wie soll sich der Westen verhalten?
Der Westen soll sich vor allem auf seine allgemein geltenden humanistischen Werte zurückbesinnen, sich als Heimat kultureller und religiöser Vielfalt ansehen und den Islam und die Muslime als Teil der westlichen Wirklichkeit verstehen. Nur so ist eine gleichberechtigte Begegnung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen und ein friedliches Miteinander möglich.
Sowohl aus Kreisen der CVP als auch der SP gibt es den Vorschlag für einen neuen Religionsartikel, wonach vielleicht der Islam den christlichen Landeskirchen gleichgestellt würde. Wäre dies aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings darf das Konzept der christlichen Landeskirchen nicht eins zu eins auf den Islam übertragen werden. Man muss dabei vor allem die Vielfalt der muslimischen Community berücksichtigen.
Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, damit Menschen mit muslimischem und nicht-muslimischem Hintergrund auch in Zukunft friedlich zusammenleben können?
Einander besser kennenlernen, noch mehr in die andere kulturelle und religiöse Welt eintauchen. Erst dann wird man erkennen, dass alle Glaubensgemeinschaften – auch wenn sie historisch und kulturell unterschiedliche Wege gehen - das Gleiche suchen: innere Zufriedenheit und Gerechtigkeit.