Andrew Tate posiert gerne mit schnellen Autos, dicken Zigarren und provoziert durch frauenverachtende Aussagen. Viele Menschen stösst das ab. Aber für seinen Lifestyle gibt es für den Influencer gerade von jungen Männern auch Applaus. In Grossbritannien offenbar so viel, dass einige Schulen koordiniert dagegen angehen.
An Schweizer Schulen (noch) kein Thema
Anders ist die Situation an Schweizer Schulen. Der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer (LCH) plant derzeit keine Aufklärungskampagnen, wie er auf Anfrage bestätigt. Man würde aber tätig werden, wenn der Einfluss des Influencers zum Problem würde, heisst es vom Verband.
Fragt man bei Lehrpersonen direkt nach, wird das Bild facettenreicher: Daniel Gebauer unterrichtet seit 20 Jahren Oberstufenklassen im Kanton Bern. Als er das Thema in seinen Klassen ansprach, staunte er nicht schlecht: «Auf die Frage, wer schon mal von Andrew Tate gehört habe, gingen gleich die Hände hoch. Sicher bei der Hälfte der Schüler.»
Kennen oder cool finden?
Den Namen schon mal gehört zu haben, ist das eine. Eine andere Frage ist, ob die Jugendlichen den Influencer gut finden. Und nochmals auf einem anderen Blatt steht, ob sie das auch zugeben würden. Lehrer Daniel Gebauer ist sich dessen bewusst: «Ich gehe davon aus, dass die Antworten gefiltert sind. Aber dass unter den Jungs so viele Andrew Tate kennen, sagt schon etwas aus.»
Auf Nachfrage erhielt der Lehrer ein differenziertes Bild: «Klar, wissen die Jugendlichen, dass Andrew Tate umstritten ist. Sie kennen die Vorwürfe gegen ihn – und die öffentliche Meinung dazu.» Und sie könnten unterscheiden, beobachtet Gebauer: «Die Frauenverachtung, die homophoben Sprüche, den Rassismus: Das finden sie daneben.»
Dass die Männerrolle als misogyner Macker ausgedient hat, erlebten sie schliesslich selbst. Und die meisten fänden es richtig, dass Geschlechterrollen aufbrechen.
Coole Kaltschnäuzigkeit kommt gut
Handkehrum ist die Suche nach einem neuen Männlichkeitsverständnis nicht so einfach. Ständig von allen Seiten darüber belehrt zu werden, was man darf und was nicht, ist für Jugendliche ebenfalls eine zwiespältige Erfahrung.
Was darum ankomme bei den jungen Männern, beobachtet Daniel Gebauer, sei Andrew Tates Kaltschnäuzigkeit: «Dass jemand seine Meinung sagt, ohne gefallen zu wollen, imponiert ihnen.»
Der Reiz des Verbotenen
Sie sind nicht die einzigen: Andrew Tate war 2022 einer der meistgesuchten Begriffe auf Google. Der Influencer findet mit seiner offensiv-machistischen Gegenkultur ein Publikum. Dass er derzeit in Rumänien in Untersuchungshaft sitzt, muss seinem Ruf nicht schaden.
Andrew Tate sei eine Art Symptom, meint der Berner Oberstufenlehrer Daniel Gebauer. Tates Erfolg zeige auf drastische Weise, in welchem Spannungsfeld sich junge Männer befänden: «Sie suchen zwischen altem Rollenverständnis und neuen Erwartungen ihren Weg», beobachtet Gebauer, «das Verbotene oder gesellschaftlich Verpönte übt ebenfalls seinen Reiz aus.»
Darum hält Gebauer auch wenig davon, Influencer wie Andrew Tate zu sperren. Vielmehr sieht er sich und andere Lehrpersonen in der Pflicht: «Wir müssen uns mehr Mühe geben, die Jugendlichen zu verstehen, und nicht gleich abzuwerten, was sie interessiert.»