Immer mehr Männer suchen nach Rollenbildern abseits tradierter Vorstellungen. Ist nach der Emanzipation der Frauen nun die Befreiung der Männer an der Reihe?
Was als Feminismus begann, sei inzwischen ein gesamtgesellschaftlicher Umbruch, bestätigt die Basler Soziologin und Genderforscherin Diana Baumgarten. Die Frauenbewegungen hätten auch bei Männern zu einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Rollenbild geführt.
Allerdings steckt die Forschung zum Thema Männlichkeiten hierzulande anders als im übrigen Europa noch in den Kinderschuhen. Grund genug für Baumgarten, mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die «AG Transformation Männlichkeiten» zu gründen. Diese hat nun mit «Zeitdiagnose Männlichkeiten Schweiz» einen neuen Sammelband mit Beiträgen aus den verschiedensten Fachrichtungen veröffentlicht.
Passen Papa und Patron zusammen?
Eine der grossen Fragen lautet dabei, wie der «neue Mann» aussieht. Laut der Soziologin zeichnet er sich durch auf den ersten Blick widersprüchliche Eigenschaften aus. So ist er etwa sowohl fürsorgender Vater wie durchsetzungsfähiger Chef. Damit vereine er «all das, was Frauen schon sehr lange kennen: Er hat im Alltag sehr unterschiedliche Anforderungen zu erfüllen».
Die Philosophin Simone de Beauvoir sagte einst, man werde nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht. Dieser Erkenntnis lasse sich auch auf Männer übertragen, findet die Soziologin. Deren biologisches Geschlecht hat zunehmend weniger Einfluss darauf, welche sozialen Rollen sie einnehmen.
«Den» Mann gibt es nicht
Für Männer gilt dabei, was Frauen schon längst für sich fordern: «Den» Mann gibt es nicht. Viele Männer würden sensibler über ihre eigenen Bedürfnisse nachdenken, hält die Genderexpertin fest. So mancher probe einen positiveren Umgang mit Widersprüchen. Will sich etwa mal stark, mal schwach fühlen dürfen. Schliesslich gehörten beide Seiten zu einer Person dazu.
Gerade bei der Kindererziehung beobachtet Baumgarten viel Veränderung. Väter berichten in Interviews zum Beispiel, sie seien mit Sätzen wie «Ein Indianer kennt keinen Schmerz» vorsichtiger geworden.
Gleichzeitig würden viele mit der Angst ringen, dass ihre Söhne als Weichei gelten könnte. «Das ist ein Prozess», so Baumgarten. «Niemand steht auf und sagt: Ab heute bin ich ein neuer Vater.»
Die derzeitige Vielfalt an Männerbildern sieht die Forscherin als Gewinn. Wichtig sei jedoch, dass «wir nicht eine dieser Formen wieder als Norm küren und sagen: Das ist die richtige Art und Weise, Mann zu sein.»
Männer würden sehr unterschiedlich auf Veränderungen reagieren, so Baumgarten: Die einen sehen die aktuelle Phase als Krise. Andere empfinden sie als Aufbruch. Wohin die Reise in Sachen Mann geht, lässt sich also nicht eindeutig festlegen.