Nein, leise ist es nicht, im Islamunterricht von Lehrerin Esther Fouzi im Zürcherischen Rüti. «Ich weiss es, ich weiss es», ruft Sukeyna und kann kaum auf ihrem Stuhl sitzen bleiben.
Ihre Mitschülerin hat soeben ein kleines Kärtchen mit einer Frage gezogen. «Wie oft muss man die Kaaba umrunden?», liest sie vor. «Sieben Mal», lautet die Antwort.
Die Kinder spielen eine Art Eile mit Weile. Sie würfeln, ziehen mit ihren Spielfiguren von Feld zu Feld, und wer auf einem grünen oder rosa Feld landet, muss eine Frage beantworten. Alles dreht sich um den Hadsch, die muslimische Pilgerfahrt.
«Ich weiss, dass ich es später brauche»
Die Kinder sind im Primarschulalter, früher an diesem Morgen hat Lehrerin Esther Fouzi den Stoff wiederholt. Sie wissen, wie der Hadsch abläuft, welche Tiere man opfert, wo und wann man sich die Haare schneidet – ein Thema, das sie zu faszinieren scheint.
Den Kindern macht der Unterricht Spass: «Frau Fouzi erzählt uns Geschichten», sagen sie, und: «Ja, und wir lernen neue Dinge.» Nur manchmal sei es mühsam, am Samstag früh aufzustehen. «Aber ich weiss, dass ich es später brauche – und wenn ich da bin, macht’s meistens Spass.»
Bekenntnisorientiert nennt Esther Fouzi ihren Unterricht. Zu Beginn sagen alle gemeinsam die Schahada auf, das muslimische Glaubensbekenntnis. Danach lernen die jüngeren Schülerinnen und Schüler in der ersten Stunde jeweils die Grundlagen des Islams.
In der zweiten Stunde ist Arabisch angesagt – und Suren, also Koranverse, auswendig lernen. «Wir haben immer zwei Wochen Zeit», erklären die Kinder. «Und neben dem arabischen Text steht die Übersetzung auf Deutsch.»
Der Koran fordert: Setzt euren Verstand ein
Die Kinder sollen mit den Suren den Koran kennen lernen. Denn Esther Fouzi will die Kinder ermächtigen, ihnen nicht einfach nur Wissen beibringen, sondern die Grundlagen liefern, damit sie sich selbst ein Bild machen können. «Gott fordert uns im Koran immer wieder auf: Denkt nach über die Verse. Setzt Euren Verstand ein», erklärt die Lehrerin.
Die Eltern der Kinder, die am Samstagmorgen in Rüti in den Islamunterricht gehen, schätzen das: «Mir ist es wichtig, dass meine Tochter lernt, selber zu denken, sich ein Urteil zu bilden», sagt Sabine Rashad. Dabei gehe es nicht nur, aber auch um Radikalisierungsprävention. «Kinder, die wenig über ihre Religion wissen, sind anfälliger für Radikalisierung. Deshalb ist der Unterricht ein wichtiger Bestandteil der Prävention.»
Eine weitere Mutter schätzt zudem, dass Esther Fouzi auf Deutsch unterrichtet und dass die Kinder nachfragen und alles hinterfragen könnten. Sie hofft, dass sich ihre Kinder so später bewusst für die Religion entscheiden.
Wer hat im Koran Vorrang, Mann oder Frau?
Wie dieses Hinterfragen aussieht, zeigt sich am späteren Vormittag, beim Unterricht mit Teenagern. Esther Fouzi beginnt ein neues Thema: «Männer und Frauen im Islam – oder auch Frauen und Männer im Islam?» Wer kommt zuerst? Wer ist aus wem entstanden? Macht Gott einen Unterschied zwischen Männern und Frauen?
Diese Fragen sollen die Jugendlichen beantworten. Esther Fouzi schaut mit ihnen ausgewählte Textstellen im Koran an. Sie weist dabei auch auf Unschärfen in der Übersetzung hin und fragt die Jugendlichen nach ihren Vorstellungen über Männer und Frauen und über die Ehe.
Offen für alle Fragen
«Ich selbst habe schon viele Vorurteile erlebt», erklärt die Lehrerin. «Vielleicht hatte ich sie im Kopf, als ich die Stunde vorbereitet habe.» Die Stossrichtung ist klar: Vor Gott sind Männer und Frauen im Koran gleich. Das will Esther Fouzi ihren Schülerinnen mitgeben.
Die Teenager schätzen den Unterricht. «Wir können Frau Fouzi alles fragen – und sie hat immer eine Antwort», sagen sie. Auch Fragen zur Sexualität oder zu politisch aufgeladenen Themen wie dem Kopftuch haben Platz im Unterricht.
Islamunterricht soll muslimische Kinder «empowern»
Und genau darum gehe es: «Guter Islamunterricht soll muslimische Kinder ermächtigen», sagt Religionspädagogin Nadire Mustafi. Sie forscht am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg über den Islamunterricht in der Schweiz.
Die muslimischen Kinder sollen sich in ihrer Religion auskennen und diese Religion auch in einer säkularen Gesellschaft erklären können. Zentral sei dabei, dass die Lehrerinnen und Lehrer gut ausgebildet seien.
Allerdings sei der pädagogisch unterlegte Unterricht, den Esther Fouzi in Rüti anbietet, noch nicht in allen Moscheen angekommen. «Das liegt an den Strukturen und an den Ressourcen», erklärt Nadire Mustafi. Den Moscheevereinen, die den Unterricht anbietet, fehle es oft an Geld. «Die Lehrerinnen und Lehrer arbeiten meist auf freiwilliger Basis, ohne Lohn.»
Zudem gebe es keine religionspädagogische Ausbildung für den bekenntnisorientierten Unterricht. Hier seien pragmatische Lösungen gefragt, ein niederschwelliges Weiterbildungsangebot etwa. Denn gute Lehrerinnen und Lehrer bieten guten Islamunterricht. Und nur dieser ermöglicht es den Kindern, zu selbstbewussten und selbstkritischen Musliminnen und Muslimen heranzuwachsen.