«Herr der Ringe»-Feeling gibt’s nur in Neuseeland? Papperlapapp. Als 19-Jähriger ist der Erfolgsautor J.R.R. Tolkien mehrere Wochen durch die Schweiz gereist. Wie heute klar ist, haben ihn verschiedene Orte hierzulande massgeblich für sein Werk inspiriert.
«Tolkiens Gruppe wanderte im Sommer 1911 von Interlaken nach Grindelwald und Meiringen, über den Grimselpass, den Aletschgletscher in Richtung Matterhorn und kam in Sion im Kanton Wallis an», weiss Tolkien-Forscher Martin Monsch. Er hat die Route bis ins kleinste Detail rekonstruiert.
Zum 70-Jahr-Jubiläum von «Herr der Ringe: Die Gefährten» liefern wir Ihnen vier Wander-Schätze für verträumte Elben, gemütliche Zwerge und mutige Hobbits. Garantiert, ohne von Gollum oder Orks verfolgt zu werden!
1. Für Detoxer: Auszeit im verborgenen Tal der Elben
Einen Ort, der Tolkien mit beinahe absoluter Sicherheit inspiriert hat? Lauterbrunnen, im Berner Oberland. Nach dessen Vorbild hat Tolkien die Heimat der Elben, Bruchtal in «Herr der Ringe», erschaffen. Indizien: Bruchtal-Illustrationen von Tolkien selbst. Zudem nannte er den Bach in Bruchtal «Loudwater». «Vermutlich eine lose Übersetzung von Lauterbrunnen», erklärt Martin Monsch.
Gut nachvollziehbar, dass die hoch aufragenden Felsen, die zig Wasserfälle und die Gletscher im Hintergrund den 19-jährigen Jungen aus Birmingham, der noch nie Berge gesehen hatte, beeindruckt haben.
Für alle, die exakt auf Tolkiens Spuren wandeln wollen und Abgeschiedenheit mögen, gibt’s die Wanderung zum Berggasthaus Obersteinberg.
Am 5. August 1911 kam Tolkien hier vorbei und unterzeichnete das Gästebuch. Eine Kopie davon gibt’s bis heute zu sehen (wenn man nett fragt). Wer die volle «Tolkien-Experience» möchte, übernachtet im Hotel – ohne Strom, dafür mit eigener Alpkäserei.
Auf dem Rückweg führt die Wanderung durch eine Naturidylle unterhalb des Schmadribachfalles, einem Ort wie geschaffen für Mittelerde.
2. Für gemütliche Gipfelstürmer: Panorama der Träume
Wer auf Tolkiens Spuren wandeln will, aber eher zur gemütlichen Sorte gehört, hat die Option: auf die Kleine Scheidegg mit der Wengernalpbahn und dort Eiger, Mönch und Jungfrau bestaunen.
Dieser Ort blieb für Tolkien ein Ort der Sehnsucht. «Mit tiefem Bedauern» habe er «den Blick auf die Jungfrau verlassen», schrieb Tolkien mehr als 50 Jahre später in einem Brief an seinen Sohn. Im gleichen Brief wird deutlich, dass ihn die Berner Oberländer Alpen für das Nebelgebirge inspirierten. Das Nebelgebirge bildet das Rückgrat von Tolkiens Mittelerde: Oft müssen die Charaktere sich dort beweisen und gegen dunkle Mächte kämpfen.
Berichte zeigen, dass 1893, nicht lange vor Tolkiens Besuch, die Zahnradbahn fertiggestellt wurde. Trotzdem wanderte seine Gruppe über die Kleine Scheidegg nach Grindelwald und dann weiter nach Meiringen.
Definitiv Ihre Kamera zücken sollten Sie beim Anblick des Silberhorns, ein Seitengipfel der Jungfrau. Der Berg diente Tolkien eindeutig als Vorlage – er nannte den Gipfel die «Silberzinne seiner Träume». Auf der Silberzinne besiegt Zauberer Gandalf in «Herr der Ringe» den Dämon Balrog und wird zu Gandalf dem Weissen. Ein zentraler Schauplatz!
Falls Sie, beflügelt von den epischen Siegen Tolkiens Figuren, doch die Wanderlust packt: Wandern Sie von der «Kleinen Scheidegg» hinunter in die Region Wyssi Flue bis zur WAB-Station «Wengernalp». Dort nehmen Sie die Bahn wieder runter nach Lauterbrunnen.
3. Für Sportliche: Ritt durch Berg und Tal
Aus dem Rhonetal wurde «Rohan»? Und aus dem Weisshorn wurde das «Weisse Gebirge»? Martin Monsch vermutet, dass das Oberwallis eine wichtige Inspirationsquelle für Rohan war, wenn auch nicht die einzige.
In «Herr der Ringe» wird Rohan als weite, grünbewachsene Ebene beschrieben, bewohnt von einem Reitervolk. Genau eine solche Ebene sah Tolkien, als er die 50 Kilometer vom Grimselpass nach Brig herunterlief.
Der Wandertipp führt Sie aber hoch hinaus – auf die Belalp. Auch hier war Tolkien unterwegs. «Herr der Ringe»-Experte Monsch vermutet in der Belalp eine Inspirationsquelle für die Hügelfeste Dunharg. Den Ort im Weissen Gebirge, an dem sich die Bevölkerung Rohans in Sicherheit bringt.
Bei einer Tolkien-Wanderung muss ein Blick auf den Aletschgletscher dabei sein. In späteren Briefen berichtete er ausführlich davon, wie er bei einem langen Marsch den Gletscher hinauf durch Steinschlag beinahe umkam und ihn das für eine Szene im «Hobbit» inspirierte – dasselbe Ereignis verarbeite er dann auch in «Herr der Ringe».
Sie wandern zum Hotel Belalp, wo sich eine gute Aussicht auf das Weisshorn und den Aletschgletscher bietet, wenn auch etwas entfernter. Von der Verzweigung bei Hirmi gelangen Sie über den Panoramaweg zur Oberaletsch-Hütte auf rund 2600 Metern. Entweder Sie wagen die Rundwanderung (sehr anspruchsvoll) oder Sie übernachten in der Hütte.
Hundertprozentig klären, ob Tolkien auf der Oberaletsch-Hütte war, lässt sich nicht. Die Hütte wurde 1925 von einer Lawine zerstört, weshalb es keine Gästebücher mehr von 1911 gibt.
4. Für Abenteurerinnen: übers Schattengebirge nach Mordor
Das Wallis als Vorbild für Landschaften in Mordor? Sehr gut möglich. Wie Martin Monsch recherchierte, kam es 1911 während Tolkiens Reise durchs Wallis zu etlichen Waldbränden. Stickig, dunkel, angsteinflössend – perfekte Atmosphäre für Mordor.
In den Büchern wird Mordor vom dunklen Lord Sauron beherrscht. Von hier aus versuchte er, ganz Mittelerde zu erobern. Mordor ist von gewaltigen Gebirgsketten umgeben. Einen versteckten Pass über das Schattengebirge – bewacht von der Riesenspinne Shelob – müssen Frodo und Sam am Ende überqueren, um zum Schicksalsberg im Zentrum von Mordor zu gelangen. Dort können sie den Ring zerstören.
Der versteckte Pass, Cirith Ungol, ist schwierig und anspruchsvoll – genau wie der Aufstieg zur Bertolhütte auf 3311 Metern an der Walliser Haute Route. Auch hier ist gesichert, dass Tolkien und seine Gruppe diesen Aufstieg auf sich genommen haben: Sie haben am 25. August das Gästebuch unterzeichnet.
Das Bergdorf Arolla, im französischsprachigen Wallis, galt zu Tolkiens Zeiten als Hotspot unter englischen Touristen. Das entlegene Dorf war damals – und bis in die 1950er-Jahre – nur schwer zu erreichen.
«Diese Wanderung war damals sicher noch das grössere Abenteuer», sagt Tolkien-Experte Martin Monsch. «Der Bertolgletscher war viel grösser. Dazu kommt, dass Tolkiens Gruppe bergunerfahrene Personen dabeihatte.»
Wenn Sie sich ein Vorbild an Frodos Mut nehmen und sich ins Walliser-Mordor wagen wollen, reisen Sie mit dem Postauto nach Arolla. Dort führt zuerst ein flacher Weg ins Tal, bevor es steil links den Berg hochgeht. Der letzte Teil verläuft auf einem Gletscherrest. Das heisst: Steigeisen und Stöcke einpacken.
Die Hütte erreicht man über eine blaue, alpine Wanderung – man klettert an steilen Leitern hoch. Nur etwas für Schwindelfreie! Belohnt wird man oben mit einem Eiswüstenpanorama – in der Ferne das Matterhorn – der Schicksalsberg?