Nice? Geht so. Dass Jugendsprache von Menschen mittleren Alters immer wieder okkupiert wird, ist nicht ganz neu. Nur scheint es bei Wörtern aus der Generation Z auffällig oft zu passieren. Ü-40er, die alles «cringe» finden, lassen sich auch auf den Fluren von SRF Kultur finden. Fünf Geständnisse.
1. «Bruder»
Meine Kinder mögen sich. Ständig versichern sie sich gegenseitig ihrer Geschwisterliebe. Bruder hier, Bruder dort. Zudem ist unsere Kleinfamilie mormonenmässig angewachsen. Wo ich hinschaue, überall Bros und Brüder: Der Simon, der Leo und hoppla, auch die Hannah und die Lena. Selbst ich als Mutter gehöre längst zur Bruderschaft. Spätestens hier greife ich, alte Emanze, selbst zur Jugendsprache und versuche es regelmässig mit einem «Hey, Sis»! Doch meine Töchter kennen kein Erbarmen. Dabei bleibt’s, Bruder! Annette Scharnberg, 53
2. «Voll»
«Ghetto» ist so ein Wort, das bei uns am Küchentisch gerade inflationär gebraucht wird. Steht für «geil», glaube ich, ganz «gette» ich es noch nicht. Mir selbst kommt dieser Nagelneusprech nicht in die Sprachtüte. «Fix» ist mir foxy. Für «Alter» bin ich viel zu alt. Schwach werde ich nur bei «voll», sogar ohne Gläschen zu viel. Und ich sage «mega», megaoft. Das längst zeitlose Modewort aus den, puh, späten 1990ern ist aus dem Aktivwortschatz meiner Adoleszierender fast wieder verschwunden. Ihre «Verstärker-Vokabel» ist «huere». So wie für mich vor über 40 Jahren, als ich meinte, das Wort bezeichne eine schlimme Krankheit. Kommt davon, wenn man hinter dem Mond aufgewachsen ist. Oder genauer: hinterm Vollmond. Stefan Gubser, 52
3. «Cringe»
Es ist passiert: Ich habe ein Jugendwort einer jüngeren Generation in meinen Wortschatz übernommen. Sorry, aber wie cringe ist das, bitte?! Genau, ich sage neuerdings «cringe», wenn ich etwas peinlich finde. Unironisch. Geht ja wohl gar nicht, dass ich mit meinen 33 Jahren das Jugendwort des Jahres 2021 verwende! Oder etwa doch? Ist halt ein gutes Wort, dieses «cringe», vereint Peinlichkeit und Fremdschämen und drückt aus, wie man dabei so richtig erschaudern kann. Wie es sicher U20-Jährige tun, wenn ich «cringe» sage. Ich mach’s trotzdem. André Perler, eigentlich zu jung, um mitreden zu dürfen
4. «Nice»
Im Büro geht das Gerücht um, ich hätte eine Vorliebe für «nice», doch das muss ich entschieden dementieren. Eher schon finde ich manches «cool», ein wahres Jugendwort meiner Jugend. Neuerdings eigne ich mir Vokabeln meiner Kinder an, ein klassischer Fall von Appropriation und insofern etwas uncool. Was dahintersteckt, ist mir nicht ganz klar. Eine Mischung aus parentaler Anbiederung und Satire muss es sein. Ich habe es mit «safe» versucht, bis mich strafende Blicke ahnen liessen, dass ich das Wort völlig falsch verwende. Deshalb bin ich vorsichtiger geworden. Von der Wendung «Boden-Kreuz-geimpft», die aktuell auf Berner Schulhöfen trendet, werde ich jedenfalls die Finger lassen. Versprochen! Obwohl ich sie ja irgendwie nice finde. Oliver Meier, 43
5. «Cute»
Stofftiere, Sticker, Mangamädchen: Plötzlich ist zuhause alles cute. Also hübsch, süss – oder, gut schweizerisch, herzig. Herzig aber sei verboten, sagen meine Preteen-Mädchen: Babykram! Und die vorlaut-vorschnelle Jungmannschaft hat recht. Herzig ist, im Gegensatz zum coolen Cute, die Cousine vom Land. Nett, adrett und redlich, aber eben auch: ein bisschen bieder. Cute dagegen? Tönt nach London statt nach Langenthal. Wer also kann es ihnen verdenken, denkt man, und erschrickt beim Satz zur Gattin: «Cute, die beiden, nicht?» Christian Schaub, 45