Ein möglichst diverses Publikum: Das wollen die meisten Kulturinstitutionen – spätestens seit Inklusion und Diversität zu kulturpolitischen Leitplanken erklärt wurden.
Dementsprechend gibt es viele theaterpädagogische Vermittlungsprojekte, die etwa Schüler und Schülerinnen ansprechen, die nicht aus einem Elternhaus kommen, in dem der gemeinsame Theaterbesuch selbstverständlich ist.
Kein Ort für alle
Wer kann es sich leisten, ins Theater zu gehen? Wer fühlt sich vom Programm angesprochen? Wessen Lebensrealität wird auf der Bühne dargestellt?
Im Windschatten der Diskussionen um Sexismus und Rasssismus ist die Kategorie «Klassismus» auch in der Kultur vermehrt zum Thema geworden. Klassismus meint Vorurteile oder eine Diskriminierung wegen der Klassenposition oder der sozialen Herkunft.
Im Gegensatz zu Geschlecht und Hautfarbe ist es nicht offensichtlich, ob jemand aus einem Akademikerhaushalt kommt oder nicht. Zumindest nicht auf den ersten Blick.
Der Ausschluss fängt schon in der Schule an. Trotz gleicher Leistung schaffen es Kinder aus Arbeiterinnenfamilien deutlich seltener ans Gymnasium. An Kunsthochschulen sind Studierende mit migrantischem Hintergrund oder aus weniger begüterten Haushalten in der verschwindenden Minderheit.
Die feinen Unterschiede
Der Weg zum Theaterberuf ist für viele steinig und alles andere als selbstverständlich.
In seinem Hauptwerk «Die feinen Unterschiede» hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu dargelegt, dass für den sozialen Aufstieg nicht nur ökonomisches Kapital (Vermögen, Erbschaften, Stipendien) notwendig ist, sondern auch kulturelles und soziales Kapital.
Kulturelles und soziales Kapital
Als kulturelles Kapital zählen etwa Fremdsprachenkenntnisse, Musikunterricht oder Diplome. Soziales Kapital sind beispielsweise Beziehungen und Netzwerke.
Für die, die in einem bildungsbürgerlichen Haushalt aufgewachsen sind, mögen diese selbstverständlich sein, weniger Privilegierte haben kaum Zugang zu diesen Ressourcen.
Blinde Flecken erkennen
Die Unterschiede sind so grundsätzlich wie konkret: Ein Praktikum am Theater etwa ist immer noch meistens unbezahlt. Das muss man sich leisten können. In Programmheften wird oft ein Wissen und Jargon vorausgesetzt, der viele ausschliesst.
Ein möglichst diverses Publikum ansprechen zu wollen und unterschiedliche Lebensrealitäten auf der Bühne darzustellen ist das Eine. Das Andere ist, die Institution an sich zu reflektieren und die eigenen blinden Flecken zu erkennen.
Ein steiniger Weg
Die Sensibilisierung für klassistische Strukturen ist dabei ein erster wichtiger Schritt. Doch so wie es nicht reicht, eine Intendantin und zwei schwarze Schauspieler im Ensemble zu haben, ist es auch nicht genug, wenn ein Techniker oder eine Dramaturgin aus der Arbeiterinnenklasse kommen. Die Durchmischung muss selbstverständlich werden.
Vieles wird auch schon gemacht: Kollektive Leitungsstrukturen, diverse Ensembles, Antidiskriminierungs-Workshops weisen beispielhaft einen Weg in eine antiklassistische Zukunft.
Dass dieser Weg steinig ist, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass vielen Kulturinstitutionen bildungsbürgerlichen Muster so tief eingeschrieben sind, dass sie oft gar nicht auffallen. Zumindest nicht auf den ersten Blick.