«In Europa geht man davon aus, dass ungefähr die Hälfte der Werke auf dem Kunstmarkt gefälscht sind», sagt Carina Popovici. In anderen Ländern wie China oder Russland soll diese Zahl noch höher sein: «Berichte behaupten, dass bis zu 80 Prozent der dort gehandelten Kunst gefälscht sei.»
In Europa soll ungefähr die Hälfte der Werke auf dem Kunstmarkt gefälscht sein.
Als die studierte Physikerin Popovici zum ersten Mal von diesen Zahlen hörte, wunderte sie sich, dass es noch keine Software gab, um den Fälschungen mit Hilfe des Computers auf die Schliche zu kommen: «Da sagte ich mir: ‹Okay, dann mache ich das halt!›»
Mindestens 200 Trainings-Bilder
Popovici gab ihren gutbezahlten Job in der Finanzbranche auf und programmierte einen ersten Prototypen eines solchen Programms. Er zeigte, dass der Computer tatsächlich in der Lage ist, gefälschte Kunst von echter zu unterscheiden.
Daraus entstand das Startup Start Art Recognition, das sie 2019 zusammen mit der Mathematikerin Christiane Hoppe-Oehl gegründet hat. Heute hat Art Recognition schon über 400 Expertisen erstellt. Zu den Kunden gehören Kunstexpertinnen, Sammler, Galerien und Auktionshäuser.
Damit der Algorithmus «lernt», welche Gemälde echt sind, wird er mit Bildern eines Malers oder einer Malerin gefüttert. «Erfahrungsgemäss braucht es mindestens 200 Bilder pro Künstler», sagt Popovici. Die Menge hänge auch davon ab, wie oft eine Künstlerin über die Zeit ihren Stil geändert hat.
Probleme mit den alten Meistern
Mehr als 300 Künstler und über 100'000 Bilder hat der Algorithmus bis jetzt «gelernt» – er weiss, welche Merkmale wie Technik, Pinselführung, Komposition oder Farben für einen Maler oder eine Malerin typisch sind. Damit kommt er laut Popovici bei der Erkennung auf eine Erfolgsquote von über 90 Prozent.
Eine bestimmte Kategorie von Werken bereitet der Künstlichen Intelligenz aber Mühe: die alten Meister. «Der Grund sind die Trainingsdaten», erklärt Popovici. «Die alten Meister hatten viele Lehrlinge und haben häufig nur einen Teil eines Bildes selbst gemalt.» Damit der Algorithmus aber richtig trainiert werden könne, müssten alle Trainings-Bilder aus einer Hand kommen.
Kopie statt Original
Doch ausgerechnet bei einem alten Meister gelang Art Recognition die bisher meistbeachtete Analyse: Im September 2021 stellte der Algorithmus mit über 90-prozentiger Sicherheit fest, dass das Gemälde «Samson und Delilah» der Londoner National Gallery nicht wie vom Museum angenommen von Rubens stammte.
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Die National Gallery hatte das Gemälde 1980 für den damaligen Rekordpreis von zweieinhalb Millionen Pfund gekauft. Doch Kritiker begannen bald, an seiner Echtheit zu zweifeln und vermuteten, es handle sich nur um die Kopie des Originals. Der Befund des Algorithmus stützt nun diese These.
Nur ein Baustein der vollständigen Analyse
Wird der Algorithmus also bald die Arbeit von Kunstexpertinnen und Kunstexperten überflüssig machen? Auf keinen Fall, sagt Carina Popovici. Die Software soll sie bei ihrer Arbeit unterstützen: «Manchmal haben sie selbst Zweifel und fragen uns dann: ‹Was sagt denn die Maschine?›»
Neben den klassischen Methoden wie der chemischen Untersuchung oder der Provenienzforschung soll der Computer einfach einen weiteren Baustein liefern, aus dem am Ende dann eine vollständige Analyse entsteht.