Olga Jappert Vonmoos war keine 30 Jahre alt, als sie ihren ersten Sohn Thorin zur Welt brachte. Eine perfekte Geburt im Geburtshaus, ganz nah von zu Hause. Kaum zwei Jahre später war die junge Steinbildhauerin wieder schwanger. Erneut beschlossen Olga und ihr Mann Michael Jappert, das Kind im Geburtshaus zu gebären, wo am 31. März 2017 der kleine Janusch zur Welt kam.
Diesmal aber begann kurz nach der Geburt ein dramatischer Wettkampf mit der Zeit: Janusch hatte einen lebensbedrohlichen Darmverschluss, eine häufige Komplikation bei Kindern mit Down-Syndrom.
Den ersten Monat verbrachte der Kleine auf der Intensivstation; lange war unklar, ob Janusch überlebt. Und rasch war klar: Janusch hat das Down-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine Veränderung des Erbguts. In jeder einzelnen Zelle ist das Chromosom 21 nicht doppelt, sondern dreifach vorhanden.
Schwangerschafts-Screening? Auf keinen Fall!
Olga Jappert Vonmoos liess sich während der Schwangerschaft von einer Gynäkologin begleiten, die auch zwei Ultraschalluntersuchungen machte. Einen Test zur Feststellung einer Chromosomenauffälligkeit, wie sie Trisomie 21, also das Down-Syndrom darstellt, machte sie nicht. «Das kam für uns gar nie in Frage. Wir hatten ein gutes Gefühl, wir wollten uns nicht verunsichern lassen», erzählt die Baselbieterin.
Mit dieser Entscheidung gehören Olga und Michael zu einer Minderheit. Vorgeburtliche Abklärungen werden immer präziser. Heute kann ein einfacher Bluttest sehr zuverlässig anzeigen, ob eine Chromosomenanomalie besteht.
Das Kind ist richtig, wie es ist
Aber: Was tun, wenn man weiss, dass das Kind behindert ist? Schätzungen besagen, dass 90 Prozent der Schwangeren sich in einem solchen Fall für eine Abtreibung entscheiden.
Für Olga und Michael indes wäre ein Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen infrage gekommen. Seit Janusch auf der Welt ist, ist Olga umso mehr überzeugt: Dieses Kind ist richtig, genau so wie es ist. «Um nichts in der Welt würde ich dieses Chromosom wieder hergeben», lacht sie.
Restrisiko trotz Früherkennung
Eine Schwangerschaft stellt werdende Eltern heutzutage vor schwierige und schwerwiegende Fragen: Was, wenn mein Kind eine Behinderung oder gar eine schwere Krankheit hat? Wollen wir das überhaupt wissen? Und möchten wir die Schwangerschaft dann abbrechen?
Die vorgeburtlichen Tests, vom Ultraschall über den mütterlichen Bluttest (NIPT) bis zu invasiven Tests, sind Segen und Fluch zugleich. Sie geben uns wichtige Informationen über den Zustand des Embryos, können uns aber auch verunsichern: Wie sollen wir reagieren, wenn der Ultraschallbefund auffällig ist und die Wahrscheinlichkeit für ein Down-Syndrom 1:90 beträgt? Macht man einen weiteren Test?
Wie gehen wir mit solchen Wahrscheinlichkeiten um – auch angesichts der Tatsache, dass es immer ein Restrisiko geben wird, es also keine Garantie für ein gesundes Kind gibt?
Die Frage nach dem Lebensrecht
Aus ethischer Sicht ist da zunächst die Frage nach dem moralischen Status des Embryos: Ab wann hat ein werdender Mensch überhaupt ein Lebensrecht? Und darf dieses Recht gegen das Selbstbestimmungsrecht der werdenden Mutter abgewogen werden?
Angesichts der Tatsache, dass die Entwicklung von der befruchteten Eizelle bis zum Neugeborenen ein fliessender Prozess ist, stellt sich das Problem der Grenzziehung. Nimmt man die Empfindungsfähigkeit des Embryos als Kriterium oder die Überlebensfähigkeit ausserhalb der Gebärmutter?
In der Philosophie gibt es zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs seit längerem eine intensive Debatte. Im Zentrum stehen die sogenannten SKIP-Argumente, welche gegen einen Abbruch ins Feld geführt werden. Alle vier Argumente sind bis heute jedoch umstritten:
- S: Der Embryo gehört zur Spezies Mensch.
- K: Zwischen Embryo und Neugeborenem liegt ein Kontinuum.
- I: Der Embryo und der spätere Mensch sind das gleiche Individuum, also identisch.
- P: Der Embryo ist ein potenzieller Mensch.
Rechtliche und moralische Regelung
Viele Länder, auch die Schweiz, haben für das Problem der Grenzziehung die «Fristenregelung» als Lösung gefunden: Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche darf die Frau auf eigenen Wunsch abtreiben. Danach braucht es schwerwiegende Gründe, etwa wenn die psychische oder physische Gesundheit der schwangeren Person gefährdet ist.
Soweit die rechtliche Lösung. Diese entbindet uns jedoch nicht von der moralischen Frage, die letztlich jede Person für sich selbst beantworten muss. Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann betont, dass auch die langjährige Verantwortung, die Eltern für ihr Kind haben, in die Waagschale geworfen werden muss: «Ich muss die nächsten 20 Jahre oder bis ans Lebensende für mein Kind da sein. In einem solchen Fall gelten besondere Argumente.»
Alles zum Wohl des Kindes
Hinter der individualethischen Entscheidung lauern auch gesellschaftliche Fragen: Führt der zunehmende medizinische Fortschritt zu einer Optimierung des Menschen? Trägt meine individuelle Entscheidung gar zu einer Diskriminierung von Menschen mit einer Behinderung bei?
Manchmal wird diesbezüglich, in problematischer Weise, auch von einer «freiwilligen Euthanasie» gesprochen. Gegen diesen Vorwurf ist allerdings zu sagen, dass werdende Eltern sich in der Regel gegen einen Embryo entscheiden, gerade weil sie befürchten, sie könnten dem Kind nicht gerecht werden, sprich: sie würden das nicht schaffen.
Man bricht die Schwangerschaft also nicht gegen, sondern zugunsten des zukünftigen Kindes ab. Sollten wir also nicht vielmehr schauen, dass wir eine inklusivere Gesellschaft werden, die sich für mehr Chancengleichheit von Menschen mit einer Behinderung einsetzt? Und für mehr Entlastung der Eltern?
Eine traumatische Zeit nach der Geburt
Zurück zu Janusch und Olga Jappert Vonmoos. Mit der Geburt begann für die junge Familie eine äusserst belastende Zeit. Zu Beginn standen die schweren gesundheitlichen Komplikationen im Vordergrund, aber zunehmend wurde den Eltern bewusst, welche Konsequenzen die Diagnose «Trisomie 21» für ihren Sohn bedeuteten.
Ich konnte mich nicht auf meinen mütterlichen Instinkt verlassen.
«Wir haben uns vorher nie mit diesem Thema auseinandergesetzt», berichten die beiden, «wir hatten keine Ahnung, was das nun heisst. Hat er Schmerzen? Wie wird er sich entwickeln?»
Auch nachdem Janusch aus dem Spital entlassen worden war, setzten sich die zahllosen Arzt- und Therapiebesuche fort. Vor allem Olga hat diese Zeit als traumatisch in Erinnerung: «Plötzlich war alles in Frage gestellt. Und das Schlimmste: Ich konnte mich nicht auf meinen mütterlichen Instinkt verlassen.»
Welche Therapie ist unabdingbar, worauf kann man verzichten? Erst nach Januschs erstem Geburtstag stellte sich eine gewisse Ruhe ein. Das hatte auch mit der Logopädin zu tun, die zu Japperts nach Hause kam und dort mit ihnen übte, wie sie Janusch am besten beim Essen und Trinken unterstützen können.
Janusch hat die Familie gelehrt, die Dinge anzunehmen wie sie sind. Welche Entwicklungsschritte in welchem Tempo Kinder mit dem Down-Syndrom machen, ist kaum absehbar. Das Spektrum ist gross.
Die Logopädin Daniela Odermatt kennt betroffene Kinder, die mehrsprachig sind und in der Regelschule gute Lernziele erreicht haben, andere bekunden auch als Erwachsene noch grosse Mühe mit Sprechen.
Erleichterung kehrt ein
Heute ist Janusch sechs Jahre alt. Seit er vier Jahre alt ist, besucht er mit grosser Begeisterung den heilpädagogischen Kindergarten in Sissach. «Für uns ist das eine riesige Erleichterung. Janusch lernt jeden Tag dazu und wir wissen ihn in guten Händen», freut sich Olga Jappert Vonmoos.
Die Kinder werden individuell gefördert, Janusch zum Beispiel lernt Gebärdensprache, weil er nach wie vor Mühe mit dem Sprechen bekundet.
Mit dem heilpädagogischen Zentrum Baselland hat die Familie eine Einrichtung gefunden, die optimal zu ihren Bedürfnissen passt. Janusch erhält die ersehnte Stabilität, die Eltern fühlen sich verstanden und begleitet. Denn: der Alltag bei Japperts ist nach wie vor turbulent. Im März 2020 ist Arvid zur Welt gekommen, seither halten drei Buben ihre Eltern auf Trab.
Auch während ihrer dritten Schwangerschaft hat Olga Jappert Vonmoos auf vorgeburtliche Tests verzichtet. «Mental war diese Schwangerschaft schwierig», erzählt die junge Mutter, «das Vertrauen war weg. Und ehrlich gesagt hatte ich Angst vor der totalen Überforderung.»
Inzwischen hat sich alles einigermassen eingependelt, auch wenn die Belastung gewaltig ist. Ihre Arbeit als Bildhauerin hilft: Die Stunden, die Olga im Atelier verbringt, empfindet sie als reine Erholung. «Mein Beruf ist meine Rettung», lacht die 36-Jährige.