«Mir ist das ein Rätsel», denke ich in dieser Nacht vor dem bläulich glimmenden Fernseher. Neben mir zwei Freunde, in der Röhre eine Horrorserie. Ich quetsche mich so nah wie möglich zwischen die beiden, bohre meine Finger in ein Kissen und zucke bei jedem Schreckmoment wimmernd zusammen.
«Wie haltet ihr das nur aus?», frage ich, als ein grinsender Mörder-Clown ein Kind mit einem Küchenmesser bedroht. «Es ist ja nur eine Geschichte», sagt meine Freundin. Ihr Blick klebt am Bildschirm, aber ich schaue weg.
Es macht mir keinen Spass, mir Angst einjagen zu lassen. Damit gehöre ich wohl zu einer Minderheit.
Das Grauen fasziniert
Seit es das Kino gibt, erfreuen sich Horrorfilme grosser Beliebtheit. An jeder Chilbi ist ein Geisterhaus zu finden. Es gibt gar das Phänomen «Dark Tourism», bei dem Schauplätze von Verbrechen und Spukhäuser bereist werden. Woher kommt diese Faszination für das Grauen?
Dafür, sich absichtlich in Angst und Schrecken versetzten zu lassen, gibt es in der Psychologie einen Begriff: Angstlust. Sie benennt die zwiespältige Gefühlslage, bei der aus Angst oder deren Bewältigung ein lustvolles Erlebnis wächst.
Also das, was bei Menschen passiert, die einen Horror-Film anschauen oder mit einem Fallschirm von einer Klippe springen. Die Wissenschaft beobachtet Angstlust auch bei Risikosportlern.
Horror gibt Angst ein Gesicht
«Nervenkitzel hat für viele Menschen etwas beruhigendes», erklärt Christine Lötscher, Dozentin für Populäre Kulturen an der Universität Zürich.
Sie rechnet sich da selbst mit ein: Wenn sie richtig gut schlafen wolle, gucke sie einen Horrorfilm. Ich muss schmunzeln, so absurd hört sich das für mich an.
«Die Ängste von uns Menschen sind meist diffus», erklärt Lötscher. Sie nennt etwa die Angst vor dem Corona-Virus: eine unsichtbare Gefahr, die uns jederzeit befallen könnte. «Wenn wir uns bewusst und kontrolliert Gruseln, hilft das, unsere Ängste zu kanalisieren.» Horror gebe unserer Angst ein Gesicht.
Horrorfilme und -Erlebnisse knüpften auch an tief verwurzelte Ängste der Menschen an, sagt Lötscher. Dinge, die uns Angst machen, apellieren an unseren Fluchtinstinkt. Dann sitzen wir voller Adrenalin auf dem Sofa – und es passiert nichts.
Das ist der Trick an Dingen, die Angstlust wecken: Dass wir dabei selbst nie wirklich in Gefahr sind, sondern nur die kreischende Blondine im Film. Die süchtigmachende Wirkung dabei: Der «Thrill».
Aushalten lohnt sich
Ich selbst habe mich immer wieder zu solchen Filmen überreden lassen, um sie dann in der Mitte abzubrechen. Dass ich danach nicht schlafen konnte, sei kein Wunder, sagt Lötscher entrüstet: «Solche Filme muss man immer fertig schauen.» Denn erst dann kommt die erhoffte Erleichterung: die Gewissheit, dass jemand überlebt.
«In solchen Filmen geht es im Grunde darum, unsere Ängste zu bekämpfen, sich zu wehren», erklärt Lötscher. So wage ich einen weiteren Versuch. Dieses Mal halte ich durch, mit meinen Freunden an der Seite und dem Kissen fest umklammert.
Und siehe da, die Guten gewinnen. Mein Angstschweiss trocknet. Wir diskutieren lachend über das absurde Ende. Bevor ich schlafen gehe, schaue ich dann aber doch noch eine Sitcom. Um sicher zu gehen.
Eine Vollmondnacht, ein Lagerfeuer, vier Freunde von früher. Was sie verbindet? Die Lust an grusligen Geschichten – und ein dunkles Geheimnis …«Grauen» ist der neue Hörspiel-Podcast von SRF. Einmal im Monat, immer zur Vollmondnacht, kommt eine neue Folge. Das Beste aus Urbanen Legenden, Schweizer Sagen, creepy pasta und ganz alltäglichem Horror sorgt für schauriges Vergnügen. Auf Schweizerdeutsch.
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