Erben kann Lachkrämpfe auslösen. Selten war das Thema so vergnüglich wie im aktuellen Stück von Mike Müller. In «Erbsache – Heinzer gegen Heinzer und Heinzer» treffen sich drei Geschwister vor Gericht.
Dazu kommen unter anderem die Richterin, Anwälte, eine Pflegerin, der Verstorbene selbst. Insgesamt elf Figuren gibt Mike Müller zum Besten. Er legt dabei nicht nur eine beeindruckende Dialektvielfalt an den Tag, sondern beweist auch filigranes Ballett-Können.
So komödiantisch das Stück daherkommt, so ernsthaft und seriös hat sich Mike Müller mit der Thematik «Erben» auseinandergesetzt.
SRF: Vom Bestatter zum Erbspezialisten – eine bemerkenswerte Karriere. Hören Sie das oft?
Mike Müller: Nein, interessanterweise wird der Link nicht oft gemacht. Aber das Thema Erben hat mich schon lange vor dem «Bestatter» interessiert. Irgendwann habe ich es hervorgeholt.
Ist das Testament die letzte Gelegenheit, seine Kinder zu ärgern, wie Sie im Stück sagen?
Das kann man so sehen. Ein Testament ist auch ein Misstrauensvotum, weil man seinen Nachkommen nicht zutraut, das zu regeln.
Erben ist Gratisgeld und hat mit Leistung nichts zu tun.
Zu Recht, wie die Geschwister Heinzer in ihrem Stück beweisen.
Das Testament ist immer nur so gut oder schlecht wie die Runde, die davon betroffen ist. Es gibt gute Lösungen, aber auch ganz bittere. Und dies, obwohl in der Schweiz die frei verfügbare Erbmasse gar nicht so gross ist. Mit dem neuen Erbrecht ab 2023 wird sie grösser sein. Früher konnte man noch über bis zu 100 Prozent des Erbes frei entscheiden.
Ist das Erbrecht ein Abbild der Zeit?
Das Erbschaftsrecht ist wie das Scheidungsrecht: Man muss es immer wieder den Umständen und Sitten anpassen, in denen eine Gesellschaft lebt.
Sie wollen auf der Bühne «keinen Scheiss erzählen», sagten Sie und haben akribisch recherchiert. Sind Sie nun ein Spezialist in Erbfragen?
Überhaupt nicht! Dazu gibt es eine Ausbildung zum Fachanwalt, die man nach dem Anwaltspatent macht. Verglichen damit bin ich nur ein interessierter Laie.
Der Rechtswissenschaftler Peter Breitschmid hat mich juristisch beraten und das Skript geprüft, damit die Richterin und die Anwälte auf der Bühne keinen «Seich verzapfen». Die wenigen Paragrafen, die ich nenne, stimmen also. Sonst hätte mir Peter die Freundschaft gekündigt.
Was ist die wichtigste Erkenntnis aus ihrer Recherche?
Wir haben in der Schweiz eine gewisse Testierunwilligkeit, obwohl riesige Unsummen vererbt werden. Ich finde es zudem eine Schande, dass wir die Erbschaftssteuer bachab geschickt haben. Erben ist Gratisgeld und hat mit Leistung nichts zu tun.
Über das Erben lässt sich sehr viel Interessantes über das Land erzählen.
Wie schwierig war der Spagat zwischen dramaturgischer Zuspitzung und juristischer Korrektheit?
Das ist immer eine Gratwanderung. Als Teil der juristischen Ausbildung würde ich das Stück eher nicht empfehlen. Wir stellen einen achtzigminütigen Theaterabend auf die Bühne, der unterhalten soll und für den die Leute Eintritt zahlen.
Die Komödie lebt vom lustvollen Scheitern, das ist ihr Sinn und Zweck. Dazu muss man innerhalb des juristischen Rahmens eine plausible Behauptung aufstellen.
Was fasziniert Sie am Thema?
Über das Erben lässt sich sehr viel Interessantes über das Land erzählen. Über Berufe, soziologische Dinge, Ökonomie, Feminismus, Bevorzugung, Beziehungen, Manipulation, Liebe und was Erben mit Familien macht. Es geht um zu wenig Liebe, um Zurückweisung, Gier, Eifersucht und Familiensysteme. Erben kann bitterer als eine Scheidung sein.
Letztlich muss mich das Milieu dazu inspirieren, eine Geschichte zu erzählen. Und wenn’s dysfunktional wird, wird es interessant.
Basiert das Stück auch auf wahren Begebenheiten?
Nein, es ist alles erfunden. Klar habe ich Elemente aufgenommen und verbraten, die mir zu Ohren gekommen sind. Aber letztlich muss die Geschichte Fleisch am Knochen haben.
Ich habe drei Geschwister gebraucht, weil es interessanter ist als mit zweien. Ich habe eine mittelständische Familie gesucht, die einerseits nicht zu reich ist, aber andererseits ein Wohnhaus mit Apotheke besitzt. Das Ganze darf nicht zu lächerlich sein, nicht zu plakativ, nicht zu stur – das ist immer ein Austarieren.
Was haben Sie dabei über Menschen gelernt?
Die Richterskala im Erbrecht reicht noch viel tiefer als gedacht. Leider lassen sich mit einem Testament nicht alle Probleme lösen. Wenn du das Erbe also zu Lebzeiten lösen kannst, dann mach es!
Immer mehr Vermögen bleibt innerhalb von Familien. Ist Erben ungerecht?
Ich finde es ungerecht, ja. Klar ist das Leben an sich ungerecht. Wir werden auch mit unterschiedlichen Talenten geboren. Aber Talente driften nicht immer stärker auseinander, Vermögen schon. Da haben wir ein Problem mit wachsender Ungleichheit und wir müssen schauen, dass ein Ausgleich stattfindet.
Eine hundertprozentige Erbschaftssteuer ist wohl keine gute Lösung.
Wenn man sein komplettes Erbe abgeben müsste, wären viele Probleme gelöst, heisst es im Stück. Wäre die Welt gerechter, wenn alle immer wieder bei null anfangen müssten?
100 Prozent Erbschaftssteuer wäre natürlich ein dogmatischer Ansatz und mit Ideologie kommt man nicht weit. Das Erbrecht hat eine Geschichte und es ist interessant, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Früher hat man in der Schweiz nur Vermögen besteuert, keine Einkünfte.
Paradoxerweise zahlt man heute dort steuern, wo man schläft und nicht dort, wo man arbeitet. Nicht die Leistung ist entscheidend. Das ist kompletter Blödsinn. Ich muss aber auch sagen: Je länger ich mich mit der Materie auseinandergesetzt habe, desto komplexer erscheint sie mir. Darum ist auch eine hundertprozentige Erbschaftssteuer wohl keine gute Lösung.
Haben Sie sich schon Gedanken gemacht über Ihr Erbe?
Ja, ich habe das Testament gemacht. Ich habe mir das gut überlegt, Schritte eingeleitet und Leute informiert. Es ist gut, wenn man das regelt. Man kann viele Probleme lösen, wenn auch nicht alle.
Und wie sieht es mit dem künstlerischen Erbe aus?
(Lacht) Das Künstlerische ist mir scheissegal. Ich bin Unterhaltungskünstler und sehe mich nicht als Dichter für die Ewigkeit. Ich bin nicht ein Gottfried Keller, eher ein Gebrauchsdichter.