Das Muster ist praktisch überall dasselbe: Ein Priester vergeht sich an Kindern, die Verantwortlichen der römisch-katholischen Kirche vertuschen, schauen weg, beschützen den Täter statt die Opfer.
Tausende von Kindern wurden allein in Deutschland missbraucht, das zeigen die Gutachten der deutschen Bistümer, die eins und dem anderen veröffentlicht werden.
Schweizer Priester unter Tätern
Das jüngste Gutachten aus dem Erzbistum Freiburg im Breisgau enthält auch einen für die Schweiz brisanten Fall. Ein Schweizer Priester soll in Deutschland Kinder sexuell missbraucht haben. In einem Fall laut Gutachten bis zu 50 Mal. Danach kehrte er in die Schweiz zurück, fand sowohl im Bistum Basel als auch im Bistum Chur eine Anstellung. Dies machte der «Sonntagsblick» am Wochenende publik.
Ob die Schweizer Verantwortlichen von den Übergriffen in Deutschland wussten, ist unklar. Die Gutachter aus Deutschland halten es aber für wahrscheinlich. Sicher ist, dass man im Bistum Chur Bescheid wusste, dass der Priester im Bistum Solothurn Sex mit einem psychisch labilen Mann hatte.
Doch es geschah, was praktisch immer geschah: Die Verantwortlichen schauten weg.
Verantwortliche teilweise noch im Amt
Der Fall aus Chur ist gleich doppelt brisant: Erstens, weil der damalige Bischof, Wolfgang Haas, heute noch als Bischof amtet, im Erzbistum Vaduz. Zweitens, weil die Anstellung im Bistum Chur in den 1990er-Jahren erfolgte und der Priester laut Sonntagsblick noch bis 2010 in einer Schwyzer Pfarrei tätig war.
Der Fall lässt sich also nicht damit entschuldigen, dass er weit in der Vergangenheit liegt und damals noch eine andere Zeit herrschte. Er betrifft die römisch-katholische Kirche in der Schweiz ganz konkret in der Gegenwart.
Das wirft die Frage auf: Weshalb wird der Fall durch ein Gutachten aus Deutschland publik? Wie steht es um die Aufarbeitung in der Schweiz?
Schweizer Gutachten lässt auf sich warten
Das Gutachten zu den Missbrauchsfällen in der Schweiz ist zwar in Arbeit, es steht jedoch erst ganz am Anfang. Die Historikerinnen und Historiker klären zurzeit ab, ob ein Gutachten angesichts der Quellenlage überhaupt möglich ist. Warum dauert das in der Schweiz so lange?
«Weil in der Schweiz alles langsam geht», sagt Bischof Felix Gmür, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Die Bischöfe wollten, dass bei der Aufarbeitung alle an Bord sind: die Bistümer, die Landeskirchen, die Ordensgemeinschaften, die Pfarreien. Deshalb gab es lange Verhandlungen, auch darüber, wer die Studie bezahlt.
Bischof Felix Gmür sagt zudem: Geschwindigkeit sei bei der Prävention wichtig, bei der Aufarbeitung gehe es um Genauigkeit und Unabhängigkeit. Das stimmt allerdings nur teilweise.
Leid anerkennen, bevor es zu spät ist
Ja, die Strukturen in der Schweiz sind kompliziert. Aber gerade der am Wochenende bekannt gewordene Fall zeigt, dass die Zeit durchaus eine Rolle spielt. Denn die Verantwortlichen von damals sitzen zum Teil heute noch in wichtigen Positionen. Die Opfer werden zudem älter und verdienen es, dass ihr Leid anerkannt wird und die Täter zur Verantwortung gezogen werden.
Es reicht nicht, sich darauf auszuruhen, dass eine Studie lanciert wurde, die breit abgestützt ist. Die Verantwortlichen in der römisch-katholischen Kirche, die Bistümer, die Orden, die Landeskirchen wären gut beraten, bei der Aufarbeitung Gas zu geben.