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Schiff mit Schlagseite.
Legende: Der Begriff «Scheitern» stammt aus der Schifffahrtssprache. Wenn ein Schiff «scheitert», ist nichts mehr zu retten. Colourbox

Gesellschaft & Religion Mut zum Fehler: Warum wir über unsere «Fuckups» sprechen sollten

«Wer nicht wagt, der nicht gewinnt» – Das Sprichwort ist Kulturgut, und doch ist die Scheu vor dem Scheitern übermächtig. So lassen wir Gelegenheiten vorbeiziehen. Dabei können wir – und andere – aus unseren Fehlern, den «Fuckups», lernen, und manchmal auch darüber lachen.

Ob wir arbeiten, leben, lieben: Erfolg ist die Ausnahme. Die Regel lautet: Fehler machen, gar Scheitern. Und dennoch: Es fällt in unserer Gesellschaft schwer, zu scheitern. Wer sich etwa mit einer Idee selbständig macht und diesen Traum wieder aufgeben muss, verschweigt den Misserfolg am besten.

Tabea Scheel im Interview.
Legende: Psychologin Tabea Scheel: «Scheitern geht unmittelbar an unseren Selbstwert, an unser Ego.» SRF

Warum eigentlich, wenn Scheitern doch so menschlich und so wahrscheinlich ist? «Scheitern heisst: Wir haben etwas nicht geschafft, von dem wir ausgingen, dass unsere Fähigkeiten dazu ausreichen», erklärt die Berliner Psychologin Tabea Scheel. «Das heisst, wenn wir mit einem Projekt oder einer Lebensphilosophie scheitern, dann ist unser Selbstwert bedroht.»

Zudem könne berufliches Scheitern weitreichende Konsequenzen haben: Wir können Geschäftspartner oder gar die Familie mit in den finanziellen Abgrund reissen.

Vorbild Silicon Valley?

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Oft blicken hiesige Jungunternehmer neidisch an die US-Westküste. Dort scheitert man immer wieder und steht dazu. Laut Soziologe Franz Schultheis ist diese «Try and error»-Mentalität aber nur eingeschränkt auf Europa zu übertragen, da hier mehr Verbindlichkeit herrsche: Arbeitnehmer seien loyaler, und Unternehmer übernähmen mehr Verantwortung.

Mutlose Gesellschaft

Hinzu kommt eine Komponente eines sozialen Korrektivs. Franz Schultheis, Soziologe an der Universität St. Gallen, erklärt, weshalb es ein gescheiterter Unternehmer so schwer hat: «Bei uns wird bestraft, wer seine eigene Herkunft verleugnet.» Wenn jemand nach Höherem strebe und abstürze, werde mit dem Finger auf ihn gezeigt. Dahinter stecke die Häme derjenigen, die zurückgeblieben seien und sich selbst nicht getraut hätten, etwas zu wagen. «Man sieht das ja schon an Sprüchen wir ‹Schuster, bleib bei deinen Leisten› oder ‹Nicht aufs hohe Ross steigen›», illustriert Schultheis.

Auch wenn sich nur ein Bruchteil der arbeitenden Gesellschaft wirklich an ein eigenes Unternehmen wagt, geht das Thema Scheitern mitnichten nur eine Minderheit an. Franz Schultheis erklärt: «Von uns werden heute Fähigkeiten erwartet, die eigentlich zum Unternehmertum gehören.» Eine hohe Eigenverantwortung etwa. Oder lebenslanges Lernen. Die Zeiten, in denen wir rein ausführende Kräfte waren, sind in den meisten Branchen vorbei. Der Fachbegriff lautet: Arbeitskraftunternehmer.

«Wir haben sehr viel mehr Entscheidungsfreiheit», konkretisiert Tabea Scheel. «Das hört sich erst mal gut an. Das Problem ist: Uns wird gesagt, welches Ziel wir erreichen sollen, aber nicht mehr, welchen Weg wir nehmen sollen. Das heisst: Wenn wir dann scheitern, ist es auch unser individuelles Scheitern, weil wir diese Wege eben selber ausgesucht haben.»

Mehr Fehler-Kommunikation – mehr Leistung

Scheels Untersuchungen zeigen aber: Unternehmen, in denen eine konstruktive Fehlerkultur herrscht, sind leistungsfähiger. Sie hat in einem Forschungsprojekt der Humboldt-Universität Berlin sowie der Universität Wien in mehr als 100 Steuerberater-Büros den Umgang mit Fehlern untersucht und einen Zusammenhang zwischen Fehlerkultur und Wissensperformance bewiesen. Das heisst: Wenn der Einzelne keine Angst haben muss, Fehler zu machen, wenn ein offenes Sprechen über Fehler möglich ist und andere daraus lernen können, wissen am Ende alle mehr.

Buchhinweis

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Rene John und Antonia Langhof (Hg.): «Scheitern – ein Desiderat der Moderne?». Springer, 2014.

Scheel weist darauf hin, dass es schlicht nicht möglich sei, Fehler zu vermeiden. Eine gute Fehlerkultur setze bei dieser Erkenntnis an, und man solle sich viel mehr die Frage stellen: «Was passiert, wenn ein Fehler passiert? Was machen wir dann, wie regeln wir das, wie gehen wir damit um?»

Negative Erfahrungen bleiben fester in uns haften als positive. Das ist nicht erst bekannt, seitdem es Evolutionsbiologen der Universität Bern in einer Studie von 2009 gezeigt haben. Rückschläge haben also ein grösseres Lernpotenzial für uns. Zeit, diese Erkenntnis in den Alltag zu integrieren.

«Fuckup-Nights» als Zeichen von Veränderung?

Zuschauer im Cabaret Voltaire.
Legende: Mehr als Full House: Im Zürcher Cabaret Voltaire fand am 23. November eine «Fuckup-Night» statt. SRF

Ein erstes Anzeichen für ein Umdenken sind so genannte «Fuckup-Nights». Einem Cabaret-Abend ähnlich, treten gescheiterte Unternehmer auf und erzählen von ihren Misserfolgen: humorvoll, offen, anhand von 10 ausgesuchten Bildern, für die sie jeweils 45 Sekunden Sprechzeit haben.

In Mexiko 2012 entstanden, gibt es diese Veranstaltungen inzwischen rund um den Globus – auch in der Schweiz. Der ungezwungene Rahmen scheint den Zeitgeist zu treffen. Auf das letzte Event im November 2015 in Zürich scheint man regelrecht gewartet zu haben: Die Schweizer Organisatoren hatten so viele Anfragen, dass sie mehr Auftretende zugelassen haben als sonst.

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