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Mythos der Generationen Die Baby Boomer sind den Millennials ähnlicher als sie denken

Wir reden wie selbstverständlich von Generationen: Nachkriegsgeneration, 68er oder die Generationen X, Y oder Z. Was ist dran an dieser Einteilung? Nicht viel, sagt eine Studie.

Am Anfang war ein Buch: Martin Schröder hatte «Generation Golf» von Florian Illies mit Vergnügen gelesen – doch nach der Lektüre fragte sich der Marburger Soziologieprofessor: Gibt es wirklich so klare Kategorien, um Generationen zu unterscheiden?

Bei seinen eigenen Recherchen fand Schröder nun Verblüffendes heraus. Der Mythos der Generation, so wie wir ihn oft und überall beschrieben finden, ist irreführend.

Martin Schröder

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Legende: ZVG

Martin Schröder ist Sozilogieprofessor an der Philipps-Universität Marburg.

Er publizierte zu empirischen Forschungsergebnissen zu Themen wie «soziale Ungleichheit und Gerechtigkeitsvorstellungen», zur Genderforschung und zur Generationenfrage.

Vermutungen statt Fakten

Schröder sagt: «In den Büchern oder Artikeln werden keine Daten benutzt oder ausgewertet. Die Autoren schreiben ihre Eindrücke auf. Die sagen einfach: ‹Ich vermute, das könnte so sein›.»

Viele Buch- und Ratgeberautoren haben vor allem eines getan: Sie haben die Einstellungen der jetzt Jugendlichen mit den Einstellungen der jetzt Älteren verglichen.

Ein wissenschaftlicher Trugschluss, denn salopp ausgedrückt, vergleicht man Äpfel mit Birnen.

Man ignoriert dabei, dass die Unterschiede keine wirklichen Veränderungen der jeweiligen Generation sind.

Es sind Veränderungen, die mit dem Älterwerden passieren. Einfach ausgedrückt: Die Jüngeren sind anders als die Älteren.

Das führt dazu, dass man denkt, die Generationen an sich würden sich unterscheiden. Tun sie aber in Wirklichkeit nicht.

Martin Schröder räumt ein, dass es Phänomene gäbe, die diese Generationenunterschiede nahelegten. So hatten ältere Generationen schon immer das Bedürfnis gehabt, der jüngeren Generation etwas Besonderes – meist wenig Schmeichelhaftes – zuzuschreiben.

«Selbst im antiken Griechenland finden sich Schriften, in denen steht: ‹Jaja die Jugend von heute, die ist ja nur noch auf ihr Vergnügen aus, und sie ist nicht mehr so, wie wir es damals waren›», sagt Schröder.

Wenn sich jede Generation so viel verändern würde, wie man ihr zuschreibt, «dann hätten wir keine Menschheit mehr, die man heute noch wiedererkennen würde», ist der Forscher überzeugt.

Äpfel mit Äpfeln vergleichen

Martin Schröder hat deshalb das getan, was in der Wissenschaft Standard ist: Er hat nicht Äpfel mit Birnen, sondern Äpfel mit Äpfeln verglichen.

Dafür stellte er die Einstellungen der heutigen Jugendlichen, also der heute 15- bis 18-Jährigen, den Meinungen der 15- bis 18-Jährigen von früher gegenüber. Dafür bediente er sich bei den Daten aus dem Korpus des Deutschen Sozioökonomischen Panels.

Das ist eine Befragung, bei der seit 1984 etwa 10'000 Menschen jährlich immer wieder die gleichen Fragen gestellt werden, zum Beispiel: «Wie wichtig ist es Ihnen, sich selbst zu verwirklichen? Wie wichtig ist es Ihnen, Erfolg im Beruf zu haben? Wie wichtig ist Ihnen Ehe und Partnerschaft?»

Nicht gross andere Meinungen

Durch dieses Verfahren entdeckte Schröder: «Da zeigen sich Unterschiede, die sich in der gesamten Bevölkerung durchsetzen. Aber es zeigt sich eben nicht, dass bestimmte Generationen anders denken als andere Generationen.»

So zeigte sich, dass in den letzten Jahren «zum Beispiel allen Menschen Selbstverwirklichung wichtiger wird, während der Berufserfolg etwas unwichtiger wird.» Das seien keine Generationenunterschiede, sagt Schröder, sondern gesamtgesellschaftliche Veränderungen.

Prägende Erlebnisse

Was allerdings nicht heisst, dass es nicht auch Generationen gibt, die sich in ihren Einstellungen zu anderen unterscheidet: «Nehmen wir die Generation, die als junge Menschen den Ausbruch des Ersten Weltkrieges miterlebte. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass eine Generation, der so etwas passiert, sich durchaus von denen unterscheidet, die keinen Krieg erlebt haben.»

Audio
Mythos Generatonen?
aus Kultur-Aktualität vom 14.11.2018. Bild: KEYSTONE / Lukas Lehmann
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 56 Sekunden.

Augenblicklich versuche man zwei Generationen abzugrenzen: die Generation X von der Generation Y.

Als Beispiel, wie diese beiden Generationen anders ticken, wird unter anderem gerne die Smartphone-Nutzung genannt: Die einen schreiben SMS, die anderen benutzen WhatsApp. Das ist Schröder als Unterscheidungsmerkmal zu dürftig.

Wenn also das nächste Mal jemand erklärt, wie anders doch die heutige Jugend sei, dann hat das damit zu tun, dass man mit dem Alter seine eigene Haltung ändert – oder die eigene Jugend verklärt.

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