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Rammstein-Skandal: Wie umgehen mit Gewalt in der Kunst?
Aus Kultur-Aktualität vom 08.06.2023. Bild: IMAGO/Gonzales Photo
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Nach Vorwürfen an Rammstein Kann man Kunst und Künstler voneinander trennen?

Kunst testet gerne Grenzen aus. Was aber, wenn hinter Gewaltfantasien doch Handfestes steckt, wie es im Fall von Rammstein-Frontmann Till Lindemann der Fall sein könnte?

Die Kunst selbst einzuschränken, sei keine Lösung, meint Kunsthistoriker Philip Ursprung. Denn die Kunst brauche Freiheit. Und sie verhandle die Grenzen – was ist sittlich, was nicht; was legal, was nicht – ständig neu.

Philip Ursprung

Kunsthistoriker

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Philip Ursprung ist ein Schweizer Kunsthistoriker und hat die Professur für Kunst- und Architekturgeschichte des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich inne. 2017 wurde er vom Bundesamt für Kultur mit dem Prix Meret Oppenheim ausgezeichnet.

Neben seinen Veröffentlichungen zur Kunst und Architektur, erschien jüngst die Monografie «Joseph Beuys. Kunst. Kapital. Revolution» (2021), in welcher er sich 24 ikonischen Werke des Jahrhundertkünstlers widmet.

Mit der Künstlerin Karin Sander vertritt er 2023 an der Architekturbiennale von Venedig die Schweiz.

SRF: In der Kunst trennen wir zwischen Künstler und Werk. Was aber, wenn sich dies nicht mehr trennen lässt: Lässt sich solche Kunst noch rechtfertigen?

Philip Ursprung: Kunst an sich ist nicht gewalttätig. Es gibt keine gewalttätige Kunst. Aber es gibt Künstler, die gewalttätig oder sogar Verbrecher sind. Wenn sich diese beiden Dinge vermischen, ist davon auch die Kunst berührt. Wir können solche Werke nicht mehr anschauen wie zuvor. Aber sie gar nicht mehr zu betrachten, wäre nicht legitim.

Der Maler Caravaggio beispielsweise war ein Mörder. Trotzdem hat man ihn nicht aus dem Kanon gestrichen. Müssten wir seine Kunst nicht ächten?

Caravaggio hatte in einem Streit einen Totschlag begangen und wurde danach vom Papst begnadigt. Aus der Kunstgeschichte ist er schlicht nicht wegzudenken. In seinem Fall ist die Gewalt sogar Teil der Betrachtung geworden.

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Caravaggio: Das tragische Genie inspiriert zu Geschichten
aus Hörbar - Literatur fürs Ohr vom 26.05.2010. Bild: Keystone / AP / MICHEL EULER
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Man wünscht sich ja Künstler, die aussergewöhnlich sind – Stichwort Genie und Wahnsinn. Das Publikum hat eine Vorliebe für spektakuläre Biografien. Was Wirklichkeit ist und was Fiktion, lässt sich im Nachhinein schwer auseinanderhalten. Klar ist aber, dass die Biografie nicht ausgeblendet werden kann.

Es gibt eine lange Tradition der Darstellung von Gewalt: Lucrezia bei Dante, Judith enthauptet Holofernes und in der Popkultur etwa der Schlachtfilm «300». Gehen solche Darstellungen heute noch?

Natürlich. Es gibt ja Behörden, die eingreifen, wenn Grenzen überschritten werden. Der Bedarf, die Lust und das Interesse an Gewaltdarstellungen waren immer sehr stark. Ich glaube nicht, dass man diese Bereiche der Kunst, die mit Fantasien viel mehr zu tun haben als mit der Realität, verbannen sollte.

Skandale wie der Fall Rammstein werfen die Frage auf, ob auch neue Tabus entstehen: Kunst wird unmöglich, weil ihr Urheber anders beurteilt wird?

Es ist klar, dass gewisse Leute nicht mehr gebucht oder verlegt werden, denn auch sie unterstehen Gesetzen.

Die Kunst selbst einzuschränken, ist aber schwieriger – zum Glück. Kunst braucht Freiheit, weil sich die Kriterien und Moralvorstellungen im Lauf der Zeit stark ändern und Kunst immer auch eine Ventilfunktion hat. Und sie verhandelt Grenzen neu: Was ist sittlich, was nicht? Was legal, was nicht?

Das Publikum interessiert sich seit jeher für Gewalt in der Kunst. Warum ist dieses Interesse so beständig?

Kunst ist etwas Aussergewöhnliches. Sie soll sich vom Alltäglichen unterscheiden, soll unterhalten. Die Neugier und Lust am Extremen ist gerade etwas, was von der Kunst bedient wird. Kunst ist ja auch ein Ort des Austausches, an dem wir über Dinge reden können, die in anderen Bereichen der Gesellschaft schwer verhandelbar sind.

Und warum interessieren sich Künstler für die Ästhetisierung von Gewalt?

Das hat sicher mit der Neugier und dem Wunsch zu tun, Dinge in Bildern zu zeigen, die sprachlich schwer darstellbar sind. Oder an diesem Grenzbereich zwischen dem Erlaubten und Verbotenem, dem Gängigen und dem Tabu, dem Sittlichen und nicht Sittlichen zu operieren. Kunst testet immer Grenzen aus. Und das zieht Künstlerinnen und Künstler an.

Das Gespräch führte Raphael Zehnder.

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 09.06.2023, 7:06 Uhr. ; 

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