Rund 40’000 Touristen strömen täglich in die Lagunenstadt. In eine Stadt, in der nur noch rund 48’000 Bürger fest leben. Die Folge des massentouristischen Ansturms: Gassen und Plätze sind heillos überfüllt und Abfälle liegen überall.
Die Folge ist auch, dass sich die urbane Infrastruktur immer mehr auf Touristen einstellt. Einheimische ziehen weg und vermieten ihre Wohnungen an Touristen. Immer mehr Hotels, B&Bs, Lokale und Imbissbuden öffnen. Lokale Handwerker und Geschäfte machen dicht.
Der Touri-Sturm erfährt Gegenwind
Seit Jahren protestieren die Venezianer, aber auch private Kulturorganisationen wie der italienische «FAI», Kunsthistoriker und selbst die Weltkulturorganisation Unesco gegen die unübersehbaren Folgen des «Overtourism» in Venedig.
Schliesslich ist das historische Zentrum Venedigs, also die gesamte Lagunenstadt, ein Weltkulturgut – und das bedeutet, dass die Stadtregierung sich entsprechend um dieses Kulturgut kümmern muss.
Im vergangenen Jahr drohte die Unesco sogar damit, Venedig von der Liste der Weltkulturgüter zu streichen, wenn nicht endlich etwas konkret gegen die Folgen der touristischen Sintflut unternommen wird.
Die lokalen Behörden reagieren – «wegweisend»?
Bürgermeister Luigi Brugnaro hat die Drohungen der Unesco mitbekommen. Er hat deshalb die Routen der Kreuzfahrtschiffe, die bis vor wenigen Jahren noch dicht am Markusplatz vorbeifuhren, geändert. Ebenso hat er jüngst das umstrittene Eintrittsticket von fünf Euro für Eintagestouristen eingeführt. Vollmundig spricht er von «wegweisenden Massnahmen gegen den Massentourismus».
Aber Brugnaro ist ein Geschäftsmann und erklärter Freund des venezianischen Hotel- und Gaststättengewerbes. Seine Kritiker werfen ihm vor, nur mit halbherzigen Methoden gegen die Folgen des Massentourismus vorzugehen.
Eine ernüchternde Bilanz
Wer kontrolliert, ob die 40’000 Tagestouristen sich auch tatsächlich online anmelden und die fünf Euro entrichten? Anscheinend niemand. Journalisten fanden heraus, dass nur die wenigsten zahlen.
Zum Thema «Zahlen»: Gratis dürfen auch weiterhin zahllose Bevölkerungsgruppen für nur einen Tag nach Venedig: Minderjährige und Lehrpersonal, Behinderte, Angestellte, die in Venedig arbeiten, Teilnehmer an Sportveranstaltungen etc.
Viele Venezianer sind gegen das Eintrittsgeld. Sie fühlen sich wie Bewohner eines Lunaparks und sind auch davon überzeugt, dass man mit Eintrittsgeldern nicht viel tun kann gegen den Massentourismus.
Massentourismus – Es bleiben viele Fragen
Doch was tun gegen den «Overtourism»? Ein Problem, unter dem auch Florenz, Rom, die Cinque Terre in Ligurien und das Chianti-Gebiet in der Toskana leiden.
Soll man etwa einen Numerus Clausus für Touristen einführen? Oder sehr hohe Eintrittsgelder? Aber nach welchen Vorgaben soll entschieden werden, wer wo hin darf? Und warum sollen nur diejenigen nach Venedig, die viel Geld haben?
Fragen über Fragen, auf die niemand eine klare Antwort hat. Vor allem nicht jene Bürgermeister, die genau wissen, dass Touristenmassen viel Geld mitbringen, das sie in Hotels und Lokalen ausgeben, und das als Touristensteuer auch in die Stadtkassen fliesst.