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Restaurative Justiz stellt Opfer ins Zentrum
Aus Sternstunde Religion vom 25.11.2018.
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Opfer begegnen Tätern «Die Begegnung gleicht einem Trauerprozess»

Bei der Restaurativen Justiz begegnen sich Opfer und Täter. Die Kriminologin Claudia Christen setzt sich für diese alternative Form der Justiz ein. Ein Gespräch über die Ursprünge, die Wirkung und die Akzeptanz dieser Methode in der Schweiz.

Claudia Christen-Schneider

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Die Kriminologin Claudia Christen-Schneider präsidiert das «Schweizer Forum für Restaurative Justiz». Im Rahmen dieser Methode begegnen sich Opfer und Täter von Gewaltverbrechen. Die Methode wird in der Schweiz in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg im Rahmen eines Pilotprojekts angewendet.

SRF: Was bedeutet «Restaurative Justiz»?

Claudia Christen: Bei der «Restaurativen Justiz» arbeiten wir auf einen Dialog zwischen Tätern und Opfern von Verbrechen hin. Wir suchen einen gemeinsamen Weg der Heilung und Wiedergutmachung. Die Teilnahme ist für beide Seiten freiwillig.

Wie geht das konkret?

Es gibt direkte Gespräche zwischen Opfern und Tätern. Und es gibt indirekte Begegnungen mit Briefen oder Videokorrespondenz. In der Strafvollzugsanstalt Lenzburg treffen sich Opfer und Täter von ähnlichen oder gleichen Verbrechen über Wochen hinweg. Die Opfer erzählen, wie sie das Verbrechen erlebt haben und welche emotionalen Qualen es ausgelöst hat.

Und die Täter?

Die Täter sollen die Konsequenzen der Taten erkennen. Opfer leiden oft jahrelang darunter. Die Täter sollen Empathie für die Opfer entwickeln und Verantwortung übernehmen.

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Aufarbeitung im Gefängnis – Täter und Opfer treffen sich
Aus Schweiz aktuell vom 05.06.2018.
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Eine Mutter, die dem Mörder der eigenen Tochter vergibt: Ist das möglich?

Es scheint sehr schwierig zu sein. Oft ist es jedoch der Wunsch der Opfer, frei zu werden, die toxische Energie eines Verbrechens loszuwerden. Die Begegnung mit dem Täter gleicht dann einem Trauerprozess. Die Vergebung ist wie ein Schlussstrich. Die Opfer können im Leben weitergehen.

Beim herkömmlichen Strafvollzug steht der Täter im Vordergrund, bei der «Restaurativen Justiz» die Opfer?

Ja, genau. Die Opfer sind in anderen Kulturen ganz selbstverständlich in den Strafvollzug eingebunden. Bei uns war das früher auch so. Die Opfer hatten ihren Platz und konnten ihre Geschichte erzählen. Das ist für die Bewältigung des Traumas sehr wichtig. Heute fühlen sich Opfer auch im Gerichtsprozess ausgeschlossen.

Was genau wird bei der «Restaurativen Justiz» wiederhergestellt?

Die Würde und das Leben der Opfer. Die Opfer erhalten Antworten auf Fragen, die sie plagen. Diese Antworten können oftmals nur die Täter geben.

Wo steht die Restaurative Justiz in der Schweiz?

Wir sind in der Schweiz noch sehr am Anfang. Wir haben in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg zwei Kurse mit mehreren Opfern und Tätern durchgeführt. Wir bereiten einen direkten Dialog zwischen Opfern und Tätern vor. Das Interesse wächst überall.

Gibt es wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit der Methode?

Seit 1974 wird die Restaurative Justiz in der westlichen Welt vermehrt eingesetzt. Es gibt Studien zur Opferzufriedenheit und zur Effektivität. Über 90 Prozent der Opfer sind sehr zufrieden und würden wieder teilnehmen. Auch Täter zeigen eine hohe Zufriedenheit.

Hat die Restaurative Justiz religiöse Hintergründe?

Die Methode ist sehr alt. Man findet sie in den meisten Kulturen und Religionen. Ihre Werte finden sich auch in der Bibel. 1974 waren es Mennoniten in Kanada, welche die Restaurative Justiz in der westlichen Welt wieder aufgenommen haben.

Warum gerade die christliche Gemeinschaft der Mennoniten?

Im Dorf Elmira in Kanada randalierten zwei Jungs in der Nacht. Sie richteten grossen Schaden an Häusern und Autos an. Zwei Bewährungshelfer der Mennoniten waren für den Fall zuständig. Sie wagten einen Versuch. Sie gingen mit den beiden von Tür zu Tür. Die Jugendlichen mussten sich entschuldigen und an den Reparaturarbeiten beteiligen.

Wie waren die Reaktionen?

Einige wollten den beiden Jugendlichen an den Kragen. Die meisten aber kannten die beiden und wussten um deren schwierige Kindheit. So ist das erste Projekt entstanden und auf die USA und weitere anglophone Länder übergeschwappt.

Was motiviert Sie, sich für die Restaurative Justiz einzusetzen?

Ich sehe, dass es funktioniert. Ich sehe, wie sich das Leben von Opfern und Tätern positiv verändert. Ich war selber Opfer und habe im Gefängnis gearbeitet. Da habe ich persönlich erfahren, wie hilfreich diese Aufarbeitung ist.

Am 19. November 2018 hat Justizministerin Simonetta Sommaruga das Projekt in der Justizvollzuganstalt Lenzburg besucht. Wie hat sie reagiert?

Bundesrätin Simonetta Sommaruga war von der Offenheit und Ehrlichkeit der Opfer und Tätern sehr beeindruckt. Ihre Reaktion war positiv. Wir wünschen uns, dass die Restaurative Justiz den Strafvollzug in der Schweiz zunehmend ergänzt.

Das Gespräch führte Norbert Bischofberger.

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