Mir war sie von Anfang an suspekt. Auf den ersten Seiten ihrer Ordnungs-Bibel «Magic Cleaning» gesteht Marie Kondo: Als Kind hat sie heimlich Dinge ihrer Geschwister weggeworfen.
Später baute sie ihre ganze Existenz darauf auf, uns ihre Ordnungsregeln aufzunötigen. Regeln, so perfide, dass man sie nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Hat man einmal mit dem System Kondo geflirtet – wie ich in einem Selbstversuch vor einigen Jahren – bleiben ihre fundamentalistischen Slogans haften: «Die Ordnung lügt nie.»
Kondo warb für ein Leben, in dem nur Disziplin glücklich macht. Mehr als 20 Bücher im Regal? Verboten! Socken? Nur gerollt verstauen! Kleiderbügel? Teufelszeug! Und was sechs Monate unbenutzt bleibt, hat den Haushalt zu verlassen.
Aufräumen als grosses Fest des Lebens: Formeln wie diese erfand die Ordnungs-Millionärin für ihre Bestseller. Eine wichtige Erkenntnis verdanke ich ihr: Ich darf ohne Konsequenzen fast alle Papierunterlagen wegwerfen. Oder verschlampen.
Kind, Chaos – Kondo am Ende
Nun gesteht die Aufräumexpertin überraschend: Im Hause Kondo ist das Chaos ausgebrochen. Also relativ gesehen. Spät hat sich die Pedantin auf das Abenteuer Mutterschaft eingelassen. Kaum kommt etwas Leben in die Bude, stürzt das System in sich zusammen.
Kondo gibt zu, dass es bei ihr zu Hause nicht mehr streng nach Marie Kondo zugehe. Aufmerksame Leser von «Magic Cleaning» sind erleichtert.
Zwischen Wegwerftipps und Faltanleitungen liess Kondo immer wieder tief blicken. Den Umgang mit Gegenständen zog sie – fast besorgniserregend – dem mit Menschen vor. Schon ihre Schulferien habe sie damit verbracht, «ganz allein im Haus herumzuwuseln und aufzuräumen». Eine Ordnungswut, getrieben vom Pflichtgefühl ihren Eltern gegenüber.
Der Blick ins Kinderzimmer mag heilend gewirkt haben. Womöglich ist ihr hier eine wichtige Erkenntnis gekommen: Sie hat die Dinge immer vom falschen Ende her gedacht. Nämlich von hinten.
Platz schaffen für neuen Ramsch?
«Macht mich dies oder jenes glücklich?» Das können wir uns fragen, bevor wir unser Haus zumüllen. Doch kein Wort darüber in Kondos Ratgebern. Sie hat immer nur Entsorgung gepredigt. Säckeweise sollten wir die Sachen raustragen.
Die Kondo-Methode passte gut zum fröhlich-unbesorgten Konsum-Kapitalismus. Wer mit Kondo aufräumt, hat endlich wieder Platz für Neues.
In einer Welt, die nicht vor die Hunde gehen will, funktioniert das nicht mehr. Die Frage, ob wir die vielen Dinge brauchen, müssen wir uns früher stellen. Beim Online-Shopping zum Beispiel. Kondo braucht ein neues Geschäftsmodell. Das wird sie schon geahnt haben, bevor der Nachwuchs mit seinen Plastikdinos die göttliche Ordnung zerstörte.
Heiter in den Tod?
Marie Kondo wurde mit ihrem Magic-Cleaning-Wahn Millionärin zum lästigen Partygespräch. Sie hat unsere Hirne mit Wahnsinn verstopft. Jedes Mal, wenn ich meine Socken sehe, muss ich an sie denken. Daran habe ich mich gewöhnt.
Aber dass die Ordnungspolizistin aus ihrer neu gewonnenen Schlampigkeit eine neue Methode machen will, geht zu weit. «Kurashi» heisst das neue Kondo-Buch. Die Geläuterte will uns nun zeigen, wie wir glücklich den Tag verbringen. Nicht zu verwechseln mit «Karoshi», japanisch für «Tod durch Überarbeitung». Wir sollten Marie nicht weiter auf den Leim gehen.