Indien – ein spiritueller Sehnsuchtsort. Ein Fleckchen Erde, auf dem es scheinbar noch ums Essenzielle des Lebens geht. Die breite Bevölkerung macht Yoga und meditiert. Bloss: Ganz so friedlich sieht es im Landesinnern wahrlich nicht aus.
Modis Machenschaften wachsen
Die Sorge um die Sicherheit anderer Religionsgemeinschaften und den Zustand der weltweit grössten Demokratie wächst. Denn unter der Regierung von Narendra Modi werden Christinnen und speziell auch Muslime vermehrt unterdrückt.
Kein Platz für Allah
Ein aktuelles Zeichen dieser Unterdrückung: Im Januar dieses Jahres wurde der Ram-Tempel in der Pilgerstadt Ayodhya eingeweiht. Ausgerechnet auf einem Gelände, das bis 1992 noch von einer Moschee aus der Mogulherrschaft geziert wurde.
Diese wurde damals von fanatischen Hindus zerstört: Ayodhya sei der Geburtsort des Hindugottes Ram. Kein Platz für Allah also. Über 2000 Menschen starben bei den anschliessenden Ausschreitungen. Der Ort ist bis heute ein Politikum.
Modi höchstpersönlich weihte den Hindu-Tempel ein und inszenierte sich damit als Hüter über die religiöse und kulturelle Ordnung. Ein politischer Triumph und eine Wohltat für alle hindunationalistisch eingestellten Inder. Denn damit wird klar: Der Islam hat sich dem Hinduismus unterzuordnen.
1947: ein schicksalshaftes Jahr für Indien
Der Zwist zwischen Hindus und Muslimen reicht allerdings weiter zurück. Er gründet unter anderem in der Kolonialgeschichte des Landes. Das Jahr der Unabhängigkeit, 1947, ist vermutlich so etwas wie ein Kollektivtrauma für die beiden Religionsgemeinschaften.
Damals wurde British India in Indien und Pakistan geteilt, wobei Indien zu einem säkularen Vielvölkerstaat und Pakistan zu einem Staat für Muslime werden sollte. Die Geburtsstunde des modernen Indiens begann mit einer riesigen Völkerwanderung.
Ein äusserst unbefriedigender Umstand für die Hindus: «Hindunationalistische Gruppierungen sahen und sehen sich bis heute als Verlierer dieses Prozesses und fühlen sich benachteiligt», erklärt die Indologin Angelika Malinar.
Alle sind gleich, aber manche sind gleicher
Diese Unzufriedenheit gibt der hindunationalistischen Ideologie Auftrieb. Die rechtskonservative Volkspartei BJP, der Premier Modi angehört, breitet sich im Land immer stärker aus.
Und damit auch die Überzeugung, dass nur jene Menschen Inder sind, die einer Religion anhängen, deren heilige Stätte in Indien liege: also Hindus, Buddhisten, Sikhs oder Jains.
Muslime und Christen gehören nicht dazu. Und dies, obwohl Indien ein säkularer Staat ist und vor dessen Verfassung alle gleich sind. Ausserdem: Indien verzeichnet die weltweit zweitgrösste Bevölkerungsgruppe an Musliminnen und Muslimen.
Das «Modi-Charisma» fruchtet
Für säkular ausgerichtete Inder und jene in der Kongresspartei gilt: Inder oder Inderin ist, wer in Indien geboren wurde. Dieses Credo wird seit Modis Regentschaft angefochten.
Modis Charisma und seine gekonnte Inszenierung führte in den vergangenen Jahren zu immer grösserem Erfolg der Hindunationalisten, erklärt die in Zürich lehrende Professorin für Indologie, Angelika Malinar.
Modi gibt sich gerne als Asket, pilgerte als junger Mann durchs Land und liess sich gar eine Weile bei Sadhus, den hinduistischen Mönchen im Himalaja, nieder. Dass er einst selbst Hindumönch werden wollte, schadet seinem Image unter konservativen Hindus sicherlich auch nicht.
Für Indien soll gelten: Hindus first
Politik und Religion vermischten sich bei Modi bereits, als er acht Jahre alt war. Damals wurde er Mitglied bei der völkisch ausgerichteten Kaderorganisation RSS, die in Indien sehr gut organisiert, landesweit verbreitet ist und zu einer religiösen Politisierung der Jugend führt.
Diese Organisation setze die «Liebe zur Muttergöttin Indien» ins Zentrum, erklärt Malinar. Es gehe darum, Leute wie Prediger in ganz Indien herumzuschicken, um die indische Kultur und Religiosität wieder zu pflegen. Es würde gar ein Eid auf die indische Flagge geschworen.
Bei öffentlichen Ansprachen spricht Modi gar vom «Vollenden der Dekolonisierung». Er möchte eine indische Nation aufbauen, wie sie angeblich vor der britischen Kolonialherrschaft bestand.
Mit neuem Mut und Selbstbewusstsein und mit ganz viel religiöser Unterstützung. So zelebrierte er denn auch die Eröffnung des neuen Parlamentsgebäudes in Gefolgschaft von strenggläubigen Hindus, mit denen er ins Parlament einzog.
Eine ethnische Demokratie?
Aus westlichem Verständnis ist das eine problematische Instrumentalisierung der Religion. Modi ist eng verbunden mit religiösen Grössen des Landes und lichtet sich immer wieder mit ihnen ab. Das Signal dabei ist klar: Indien ist hinduistisch.
«Es gibt die Befürchtung, dass aus Indien eine ethnische Demokratie werde», erklärt der Autor und Indologe Oliver Schulz. Eine ethnische Demokratie beschreibt ein politisches System, das zwar nach demokratischen Prinzipien funktioniert, aber bestimmte ethnische Gruppen besonders bevorzugt behandelt.
Dass sich die Lage in Indien verschlechtert, zeigt ein Blick auf die Fakten: Laut des Demokratie-Indexes befindet sich das Land nur noch auf Platz 84 von 177. Auch um die Pressefreiheit in Indien steht es nicht sonderlich gut. Laut der Rangliste der Pressefreiheit belegt Indien Platz 161 von 180.
Wie geht es im Vielvölkerstaat Indien weiter? Oliver Schulz wagt eine Prognose: «Wir werden mit Sicherheit erleben, dass Modi die Wahlen gewinnt. Aber es gibt noch den Blick darauf, was die Zeit nach ihm bringen wird.» Denn: Indien habe eine starke demokratische Tradition, die man nicht unterschätzen sollte.