Allenthalben werden diese Zeiten mit den Goldenen Zwanzigern verglichen: Die Corona-Pandemie fordert(e) soviel Zurückhaltung, An- und Abstand, soviel Stay-At-Home, dass die Menschen nun durstig sind nach Formen des Heraustretens aus diesem Zustand, der Ekstase, dem Rausch.
In Zürich etwa stehen die Partyhungrigen nicht nur an den wieder eröffneten Clubs Schlange, sondern vorher an Testcentern, um einen Antigentest zu machen, der Voraussetzung ist, um Zugang zu den Tanztempeln zu erlangen.
Faszination gepaart mit Furcht
Der Rausch oder die Ekstase werden aber nicht erst oder nur in Clubs gesucht; sie scheinen vielmehr zur Conditio Humana, zu dem, was uns zu Menschen und das Leben lebenswert macht, dazuzugehören: spirituelle, religiöse, ästhetische, sportive, rituelle, alkoholische oder anders substanzinduzierte Ekstasen sind in allen Kulturen und zu wohl allen Zeiten gesucht und gefunden worden.
Zugleich aber scheint heute eine tiefe Furcht vor diesen Erfahrungen zu bestehen. Insbesondere postindustrielle Gesellschaften werden sowohl als Vergnügungs- als auch als Verbotsgesellschaft, als grenzüberschreitend wie als kontrollsüchtig definiert. Der Sehnsucht nach Rausch hängt darum um so mehr etwas zutiefst Ambivalentes an, nicht zuletzt, weil viele Rauschsubstanzen süchtig machen können.
Drogen für Partys – und Patienten
In den vergangenen Jahren haben psychedelische Drogen aber einen neuen Trend erfahren: «Magische Pilze» bzw. deren Wirkstoff Psilocybin, LSD und MDMA (das in der Partydroge Ecstacy enthalten ist) sowie DMT (dem Wirkstoff, der sich in der Ayahuasca-Pflanze findet) werden nicht nur in Freizeit und Party konsumiert. Sie werden auch in der Forschung zur Behandlung von Angst, Krebs, Depression und Posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt.
Aus dem Normalzustand heraustreten
Die Ekstase mit ihrem griechischen Verbursprung existánai bedeutet «etwas in einen anderen als den gewöhnlichen Zustand versetzen». Phänomenologisch sind intensive Erfahrungen von Gegenwart und Transzendenz verbunden, es können kathartische und transformative Effekte entstehen.
Denn wer aus sich herausgeht, tritt aus dem Normalzustand (der Norm) heraus und wechselt damit die Perspektiven. Man löst sich für einen Moment von der eigenen Standortgebundenheit und den Gewohnheiten, und befreit sich damit idealiter von festgefahrenen Sichtweisen.
Die Ekstase wird damit zu einem Paradigma der totalen Freiheit, aber auch eine nur temporale Entgrenzung, die letztlich dann wieder in einen (neuen) Rahmen sich einfinden muss.
Offener für andere Erfahrungen
Nicht zuletzt wird mit den psychedelischen Erfahrungen eine Bewusstseinserweiterung oder -veränderung verbunden, weil dabei etwas neu, anders, offener sichtbar wird.
Im psychedelischen Rausch nehmen Menschen Dinge wahr, die sie sonst übersehen; sie reagieren empathischer auf ihre Mitmenschen; sie fühlen sich verbunden mit der Natur oder dem Universum; sie sind befreit von sozialen und persönlichen Restriktionen; sie können aber auch konfrontiert werden mit inneren Zuständen und Erlebnissen, die sie verdrängt haben.
Der Absurdität die Stirn bieten
Es wundert daher nicht, dass sich auch Philosophinnen und Philosophen damit befasst haben, insbesondere die Existenzialistinnen und Existenzialisten um Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Es war für sie auch ein Weg, Erfahrungen voll auszuschöpfen, dem Absurden und der Endlichkeit des Lebens die Stirn zu bieten.
Wohl auch deshalb wird nun wieder soviel gefeiert: weil diese Endlichkeit uns so nah vor Augen geführt wurde.