Das Internet hat den Zugang zu Pornografie kinderleicht gemacht. Was passiert, wenn Kinder und Jugendliche solche Inhalte zu sehen bekommen? Können sie die Bilder einordnen? Grösstenteils ja, sagt Sexualpädagoge Bruno Wermuth.
SRF: Wann kommen Kinder und Jugendliche in Kontakt mit Pornografie?
Bruno Wermuth: Studien zeigen, dass das Einstiegsalter bei 10 bis 12 Jahren liegt. Bei Jüngeren ist der Kontakt meist eher zufällig, bei Älteren ist es eher eine spezifische Suche.
Gibt es Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen?
Häufiger Pornokonsum findet bei Jungs eher zwischen 12 und 16 statt, danach gibt es eine Normalisierung. Manche Jungs sind dann auf der Suche nach Trophäen und wollen sich mit «krassen» Videos übertrumpfen.
Mädchen kämpfen mit einem Legitimationsproblem. In der Öffentlichkeit heisst es, Frauen seien keine Pornokonsumentinnen. Man vermutet, dass sie bei Befragungen deshalb andere Gründe ins Feld, etwa: «Ich muss wissen, worum es geht und mitreden können.» Aber Mädchen holen auf. Und auch sie konsumieren Pornografie, um sich damit zu erregen.
Was passiert mit einem 12-Jährigen, wenn er das erste Mal ein pornografisches Video sieht?
Das vorherrschende Gefühl ist Ekel oder Überraschung, nicht automatisch Schock. Aber Pornografie wirkt je nach Empfänger und Empfängerin anders. Das hängt von vielen Faktoren ab: Bildung, Alter, mögliche kognitive oder soziale Beeinträchtigungen – und natürlich vom Inhalt.
Porno ist nicht gleich Porno: Es spielt eine Rolle, ob ein Video einvernehmlichen Sex zwischen zwei Menschen zeigt oder illegale Inhalte. Vor letzterem sollte man Kinder unbedingt schützen.
Was ist gefährlich an Pornokonsum von Jugendlichen?
Problematisch kann es dann werden, wenn jemand diese Bilder und Videos mit einer Handlungsanleitung verwechselt.
Gemäss Forschung besteht die Möglichkeit, dass regelmässiger Konsum von Pornos zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen führen kann. Aber dies kann nicht eindeutig nachgewiesen werden.
Interessant ist: Studien belegen, dass Jugendliche sich selbst nicht als Opfer von pornografischen Darstellungen erleben. Es gibt einen sehr hohen Anteil von jungen Menschen, die souverän mit diesen Inhalten umgehen können. Ein kleiner Prozentsatz ist nicht in der Lage, die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion zu machen. Sie brauchen unbedingt Unterstützung.
Studien beiseite, was ist Ihr persönlicher Eindruck?
Ich denke, die Ängste haben sich teilweise relativiert. Manchmal fehlt mir in diesem Gefährlichkeits-Diskurs die Frage, ob explizit gezeigter Sex nicht auch nützliche Aspekte haben könnte. Die sexuelle Praxis wird in der Sexualerziehung oft vernachlässigt. Das Internet kann helfen, die Fragen der Jugendlichen rund um Sex zu beantworten.
Ich will nicht behaupten, dass die Nützlichkeit den potenziellen Schaden überwiegt. Aber es macht wenig Sinn, Pornografie per se zu dramatisieren.
Wie sollen Eltern reagieren, wenn sie auf dem Handy ihrer Teenager Pornos finden?
Es ist sinnvoller, zu agieren als zu reagieren. Sexualität, Lust und Körperlichkeit sollten früh und altersgerecht mit dem Kind angesprochen werden – idealerweise bereits im Kindergarten. Also lange, bevor Eltern meinen, Pornos könnten zum Thema werden.
Da 90 Prozent aller Männer schon Pornografie konsumiert haben, müsste ein Vater relativ locker mit seinem Sohn darüber reden können.
Mir erzählten 12-jährige Jungs in der schulischen Sexualpädagogik, dass sie ab und zu Pornos schauen. «Wissen das die Eltern?», fragte ich. Die Antwort: «Bist du wahnsinnig? Die meinen, wir schauen noch Pingu!»
Zentral ist, dass die Kinder wissen, wo sie sich Unterstützung holen können. Zudem sollen die Erwachsenen ihre eigene Haltung überprüfen. Wie lebe ich als Vater oder Mutter meine Sexualität? Und was projiziere ich auf mein Kind?
Über 90 Prozent aller Männer in der Schweiz haben laut Studien schon mindestens einmal Pornografie konsumiert. Da müsste ein Vater doch relativ entspannt mit seinem Sohn darüber reden können? Diese Transparenz ist entscheidend.
Wie soll Pornografie in der Schule thematisiert werden?
Wenn die Schule es schafft, eine Sexualpädagogik der Vielfalt zu praktizieren und nicht nur Biologie, Gewalt, Verhütungsmittel und Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten thematisiert, sondern auch zum Umgang mit dem Konsum von sexuellen Inhalten im Netz Angebote macht, dann hat sie ihre Aufgabe erfüllt. Sinnvoll ist es, dafür externe Fachpersonen einzuladen.
Vielen Erwachsenen macht es Angst, dass sie nicht kontrollieren können, was Jugendliche im Netz machen. Unterschätzen sie die Medienkompetenz der Jugendlichen?
Jugendliche haben eine grosse Internetkompetenz, viele Eltern sind keine «digital natives». Deshalb spielt die eigene Verunsicherung eine Rolle. Pornos sind für Jugendliche ein Medieninhalt unter vielen – mit Sicherheit nicht der wichtigste.
Die Kindheit war schon vor dem Internet ein Entwicklungsraum, den man nie hundertprozentig kontrollieren konnte. Wenn Kinder wissen, dass sie über jedes Thema mit ihren Eltern reden können, dann haben die eine sehr gute Basis geschaffen.
Das Gespräch führte Mara Schwab.