Seit Ende des 19. Jahrhunderts bis nach dem Zweiten Weltkrieg war der Shintoismus Staatsreligion in Japan – und der Kaiser nationales Symbol. Laut der japanischen Mythologie hatte der Tennō, der Kaiser, von den himmlischen Göttern einen Herrschaftsauftrag bekommen.
Durch diesen Bezug auf die Mythologie stellte man sicher, dass die Institution des Kaisers unantastbar war. Der göttliche Tennō und der Staats-Shinto wurden damit aber auch zum Symbol des Ultra-Nationalismus.
Damit machten die siegreichen US-Amerikaner nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kurzen Prozess. Seither sind Staat und Shinto-Religion in Japan strikt getrennt.
Ritual für das Wohlergehen der Nation
Der Kaiser darf zwar heute noch religiöse Zeremonien durchführen, aber nur als Privatperson. Diese Trennung ist in der Praxis nicht immer einfach.
Beispielsweise verkostet der Kaiser in einer Zeremonie den neuen Reis – eine Art japanisches Erntedankfest. Dieses Jahr wird die Zeremonie mit dem neuen Kaiser speziell gefeiert.
«Das ist eindeutig ein Ritual, das dem wirtschaftlichen Wohlergehen der Nation dienen soll. Hier wird es schwierig, die klare Trennung zwischen privat/religiös und öffentlich/säkular aufrecht zu erhalten», sagt Japanologe Hans Martin Krämer von der Universität Heidelberg.
Religiöse Rolle des Kaisers aufwerten?
Auch bei der Thronübergabe sind die Bereiche nicht sauber trennbar. So übergibt etwa der alte Kaiser dem neuen die Throninsignien: Spiegel, Schwert und Krummjuwelen.
Einerseits haben sie eine politische Bedeutung. Gleichzeitig sind sie religiös aufgeladen: So wird der Spiegel im Allerheiligsten im Ise-Schrein aufbewahrt – als Symbol und Aufenthaltsort der Göttin Amaterasu, der mythologischen Urahnin des Kaisers.
Nationalkonservative Kreise versuchen, die religiöse Rolle des Kaisers wieder aufzuwerten, erklärt Japanologe Raji Steineck von der Universität Zürich: «Sie wollen den Tennō, den japanischen Kaiser, wieder in eine erhabene, quasi göttliche Position rücken. Ich glaube, sowohl der abtretende als auch der neue Kaiser wollen das aber gar nicht.» Sie würden sich als Symbol des japanischen Volkes und der demokratischen Ordnung sehen, so Steineck.
Auch wenn sich der Kaiser klar positioniert: Die Frage nach der Trennung von Religion und Politik und nach der göttlichen Seite des Kaisers ist in Japan immer wieder ein Politikum. Deshalb werden die Japanerinnen und Japaner auch bei den Zeremonien zur Thronübergabe nächste Woche genau beobachten und ihre Schlüsse daraus ziehen, wie privat oder wie öffentlich die Religion zelebriert wird.