Pro Helvetia unterstützt Schweizer Kulturschaffende im Ausland bei Projekten mit lokalen Partnern. Mit zwei Büros und sechs Mitarbeitenden ist die Stiftung auch in Russland aktiv.
Der Direktor der Schweizer Kulturstiftung spricht über die Auswirkungen des Kriegs auf russische Kunstschaffende und erklärt, dass nicht alle Künstler und Künstlerinnen blindlings den Rufen des Kremls folgen.
SRF: Was bedeutet der Kulturboykott für Pro Helvetia? Müssen Sie die Arbeit in Moskau einstellen?
Philippe Bischof: In den letzten Tagen haben vermehrt Kunstschaffende das Büro kontaktiert und gefragt, ob sie nach Russland kommen sollen oder nicht. Das Büro in Moskau geht besonders sorgfältig und gewissenhaft mit dieser Situation um.
Sagen nun alle ab, die geplant hatten, mit der Unterstützung von Pro Helvetia nach Russland zu gehen?
Ja. Wenn die Pläne aufgrund der vorherrschenden Lage nicht ohnehin abgesagt wurden, stellen meines Wissens nun sehr viele ihre Tätigkeit vorerst ein - auch als Zeichen gegen diesen Krieg, der eindeutig von der russischen Regierung ausgelöst wurde.
Wir arbeiten immer mit lokalen Partnern und Institutionen zusammen. Die sind im Moment wichtiger als die Schweizer Situation.
Man darf nicht alle in einen Topf werfen. Es gibt sehr viele kritische Menschen.
Fast die ganze Welt distanziert sich von Russland: Künstler verlassen das Land, im Westen werden regimetreue Kulturschaffende ausgeladen. Wie steht Pro Helvetia zu diesem Boykott?
Wir sind bei dieser Sache sehr gewissenhaft und prüfen genau, was wir tun. Ich sage offen: Wir haben unser Vorgehen bislang noch nicht entschieden. Ich möchte aber betonen, dass die Stiftung nicht mit dem Staat zusammenarbeitet. Wir engagieren zudem keine systemtreuen Künstlerinnen und Künstler.
In unterdrückenden Systemen müssen freie Diskursräume aufrechterhalten werden.
Unsere Aufgabe ist es, den Kulturaustausch zwischen Schweizer Kunstschaffenden und russischen Partner-Institutionen zu fördern. Wir wollen einerseits eine klare Position einnehmen, andererseits aber keine Menschen sanktionieren, die sich vom kriegerischen Akt distanzieren.
Kann denn ein russischer Kulturschaffender frei arbeiten oder schreitet die Zensur ein?
In Russland Kultur zu machen ist eine hohe Kunst. Jeder Mensch muss innerhalb eines kontrollierenden Systems Wege finden. Ich finde es wichtig, dass man nicht alle in einen Topf wirft.
Es gibt sehr viele kritische Menschen, auch wenn man sich vielleicht gewünscht hätte, dass die Stimmen gegen das Regime stärker sind. Aus einem freien Land heraus ist so etwas leicht gesagt.
Putin war immer mehr oder weniger ein Diktator. Weshalb engagiert sich die Schweiz trotzdem in Russland?
Unsere Aufgabe ist nicht eine Zusammenarbeit mit dem System. Wir sind tief davon überzeugt, dass gerade in einem unterdrückenden System freie Diskursräume aufrechterhalten werden müssen.
Natürlich dürfen wir die Rolle der Kunst nicht überschätzen. Aber wir schätzen sie hoch ein. Aus Rückmeldung hören wir, dass Pro Helvetia und die Schweiz einen sehr wichtigen Beitrag zum Erhalt kultureller Freiräume leisten.
Waren Sie bei Ihrer Arbeit frei?
Ja, das war möglich: 80 bis 100 durchgeführte Projekte im Jahr zeigen eindrücklich, dass freie Kunst und Kulturprojekte in Russland möglich sind.
Der grosse Unterschied, wegen dem das jetzt weltweit diskutiert wird, ist dieser Krieg gegen ein Nachbarland, der als reine Aggression bezeichnet werden kann.
Das Gespräch führte Philippe Erath.