Bereits als Wiener Oberschüler galt Paul Feyerabend als eifrig und war nie um eine provokante Einlassung verlegen. Viele Jahre später und erst recht als streitbarer Autor und Akademiker wurde sein philosophisches Programm, die Kritik am strengen Methodenzwang der Wissenschaft, zum Markenzeichen seiner Forschung.
Kritik am Wissenschaftsbetrieb
Ihm lag besonders daran, die starre und eingeübte Methodik des Wissenschaftsbetriebes anzuklagen, bei dem der Mensch zu kurz kommt. Von Paul Feyerabend hören wir: «Darum protestiere ich jetzt, weil ich glaube, dass allgemeine Regeln zu miserablen Ergebnissen führen, weil Menschen einander nicht mehr als Menschen, sondern als Objekte begegnen. Das ist inhuman.»
In zwölf Vorlesungen an der ETH Zürich jonglierte Paul Feyerabend zwischen seiner philosophischen Materie, die er als «Minestrone» bezeichnete: ein Kessel Buntes, zwischen Kant und Quantentheorie, der auch nach dem Geist der 68er-Jahre duftete.
Neu an diesen Vorlesungen war, dass er seine wissenschaftsphilosophischen Anliegen abgearbeitet hat und die Gegenwart kritisch ins Visier nahm. Fragen der Klimakatastrophe und eines selbstgefälligen Eurozentrismus spielten in diesem Vorlesungs-Zyklus eine zentrale Rolle.
Klimafragen und Medizin
Da war zum Beispiel in den 1980er-Jahren der saure Regen, der den Tod der Wälder hervorruft. Da sagte Feyerabend: «Jetzt haben wir diese Diagnose, und die Grünen haben vollkommen recht. Natürlich darf man nicht erwarten, dass sich die Politik jetzt umstellt. Es sei denn, wenn ökonomische Interessen davon betroffen sind.»
Nicht nur der Umweltschutz oder die Mitte der 1980er-Jahre lebhaft geführte Debatte um Atomkraft, sondern auch die von Feyerabend als krankmachend verurteilte Geräte- und Schulmedizin waren ihm ein Dorn im Auge. Dennoch warnte er vor blindem Aktionismus und plädierte für das Recht auf Scheitern.
Und da berief er sich auf Kant, der die Menschen aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit führen wollte: «Manchmal gibt es Volksinitiativen, die etwas regeln wollen, was mit der Wissenschaft zu tun hat, und sie machen grossen Blödsinn. Das gibt Kant vollkommen zu: Man lernt gehen, indem man auf die Nase fällt.»
Auf der Suche nach Alternativen
Die Nähe zur Gegenkultur der 68er-Bewegung brachte Feyerabend auch den Ruf eines Scharlatans ein, der mythische Praktiken, Alternativmedizin und Regentänze auf Augenhöhe mit rationalen Denksystemen bringen wollte.
Michael Hagner, Mitherausgeber des neu erschienenen Buches mit Feyerabends Vorlesungen, gibt zu bedenken: «Ich glaube, man kann Feyerabend nicht in Anspruch nehmen dafür, dass die Astrologie und die Regentänze ganz toll sind. Das ist ein Missverständnis. Er sagt: Wir müssen schauen, was bringt es und was bringt es nicht. Und wenn wir irgendwelchen Leuten, die nur eine Erkältung haben, gleich Antibiotika geben, dann schaden wir ihnen.»
Vielfalt statt Eintönigkeit
So erleben wir in den aus Tonbandmitschnitten rekonstruierten Texten der Züricher Vorlesungen einen streitbaren, polemischen Philosophen, dem wir beim Denken und Zuspitzen über die Schulter blicken können. Kein Wissenschaftsfeind spricht da, sondern ein Denker, dem fest gemauerte Theorien und Ideologien suspekt war, und der immer auch einen Hang zur Popkultur hatte.