1917 schockierte Marcel Duchamp die Kunstwelt mit einem Pissoir, das er auf einen Sockel unter dem Titel «Fountain» als Kunst ausstellte. Was viele Zeitgenossen masslos ärgerte, ging als dadaistische Inspiration in die Kunstgeschichte ein – und regte Jahrzehnte später auch den Wissenschaftsphilosophen Paul Feyerabend an. Er schrieb an einen Freund:
Mein Ziel ist nun eine dadaistische Kritik der Wissenschaft zu schreiben, und nichts würde mir mehr Freude machen, als den der Klosettschüssel entsprechenden Gegenstand in der Wissenschaft zu finden.
Das sollte ihm gelingen. Er fand das Pendant zum Pissoir in einem einzigen, simplen Satz, der in der Wissenschaftsgemeinde grossen Ärger auslöste: «Anything goes!» – «Mach, was du willst!».
Mehr als immer nur Schweinebraten
Der Satz steht in seinem wohl berühmtesten Buch «Wider den Methodenzwang». Darin schreibt Paul Feyerabend gegen die Vorstellung an, dass wissenschaftliche Methoden die einzigen seien, die zu Erkenntnis führen können. Der Wissenschaftstheoretiker machte sich stark für alternative Sichtweisen auf die Wirklichkeit – neben der Kunst gehörten für ihn dazu auch die Astrologie oder der Schamanismus.
Die Vorherrschaft der westlichen Wissenschaft, des Rationalismus und der Vernunft sei eine Bedrohung für die Demokratie, schrieb er.
Gegen die Vernunft habe ich nichts, ebenso wenig, wie gegen Schweinebraten. Aber ich möchte nicht ein Leben leben, in dem es tagaus tagein nichts anderes gibt als Schweinebraten.
Mit solchen saloppen Sprüchen und seiner antiautoritären Haltung entwickelte sich Paul Feyerabend in den 1970er-Jahren zum regelrechten dadaistischen Popstar der Wissenschaft.
Der schlimmste Feind der Wissenschaft
Widerspenstig war Paul Feyerabend bereits während des Studiums in Wien. Da soll ihm ein Professor zugerufen haben: «Entweder, Herr Feyerabend, Sie halten das Maul oder Sie verlassen den Vorlesungssaal!»
Paul Feyerabend war eine schillernde Figur, vier Mal verheiratet, der Oper aber auch dem Wrestling zugetan, ein Showman, ein scharfsinniger Polemiker. So gut seine anarchistischen Thesen in der Öffentlichkeit ankamen, so vernichtend war jedoch die Kritik aus der Fachwelt. Feyerabend wurde beispielsweise in der renommierten Fachzeitschrift «Nature» als «schlimmster Feind der Wissenschaft» bezeichnet. Seine Thesen – so die Kritiker – führten geradewegs in die Beliebigkeit.
Nasenrümpfen bei Kollegen
Auch heute noch ist bei vielen Wissenschaftstheoretikern wenig Wohlwollen für Paul Feyerabend zu spüren, schreiben doch seine Nachfolger in Zürich:
«Nach üblichen akademischen Bewertungsmassstäben war er kein ernstzunehmender Wissenschaftshistoriker. Seine historischen Einsichten haben die bis dahin existierenden Kenntnisse der Wissenschaftsgeschichte nicht revolutioniert. Er war auch kein ernstzunehmender Philosoph (…). Ernst genommen zu werden – in diesem Sinne – lag auch nicht in seinem Interesse.»
Dass er nicht ernst genommen werden wollte, das hätte Paul Feyerabend wohl kaum so unterschrieben. Die heftige Kritik auf sein Buch «Wider den Methodenzwang» stürzte ihn in eine tiefe Depression. An einen Freund schrieb er:
Ich habe oft gewünscht, dass ich dieses idiotische Buch nie geschrieben hätte.
Er fühlte sich missverstanden. Sein Satz «Anything goes!» bedeute doch lediglich, man solle seine Vorstellung nicht einengen, denn auch dumme Ideen würden manchmal zu guten Resultaten führen. Paul Feyerabend wollte also nicht der Beliebigkeit das Wort reden, sondern der Vielfalt.
Gegen Dogmatismus
Das lässt sich etwas besser verstehen, wenn man den Hintergrund des Expertenstreits kennt. Paul Feyerabends Förderer aus Wiener Zeiten, der berühmte Karl Popper, hatte nämlich postuliert, dass Behauptungen nur dann wissenschaftlich seien, wenn sie sich prinzipiell auch widerlegen liessen – bis heute ein Leitprinzip der Wissenschaft.
Doch so einfach und gradlinig wie die Wissenschaft gemäss Popper hätte verlaufen müssen, tat sie es historisch gesehen einfach nicht. Wissenschaftler versuchten nämlich immer wieder, ihre eigentlich widerlegten Theorien mit Ausreden aufrecht zu erhalten. Zu erklären, warum das mitunter auch gar nicht so verkehrt war, versuchten dann andere Wissenschaftstheoretiker wie Thomas Kuhn oder Imre Lakatos. Doch das ging Paul Feyerabend nicht weit genug. Er verlegte sich auf eine Extremposition, auf sein berühmtes «Anything goes!» eben.
Paul Feyerabend brachte Anarchismus und Dada in die Wissenschaftstheorie, und er brach mit der steifen Ernsthaftigkeit vieler seiner Kolleginnen und Kollegen:
Ich scheisse auf die Wahrheit, was immer das ist. Was wir brauchen, ist Gelächter.
Humor, den hatte Paul Feyerabend. Und – eine seltene Gabe – er konnte auch über sich selber lachen.