Vor dem digitalen Zeitalter haben Zeitschriften und die Ratgeberliteratur die Erziehungsideale massgeblich geprägt. Heute geben sogenannte «Momfluencer» oder Erziehungscoaches ihre persönlichen Erfahrungen und Tipps weiter, die dann rege kommentiert und diskutiert werden. Der Psychologe Philipp Ramming verortet den Einfluss von Social Media auf die Kindererziehung.
SRF: Wie hat sich der Erziehungsstil mit den sozialen Medien gewandelt?
Philipp Ramming: Social Media kann den Austausch bei Erziehungsfragen fördern. Eltern sehen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Die Chance, etwas Interessantes und Anregendes auf Social Media zu finden, ist genauso hoch, wie die Chance, dass Eltern noch mehr Selbstzweifel bekommen. Ich vergleiche es immer mit Kochsendungen. Dort klingt auch immer alles fantastisch, und man kann gewisse Anregungen übernehmen.
Es ist es schade, wenn sich Eltern nur auf die Ratschläge aus der digitalen Welt stützen und sich nicht mit anderen Eltern austauschen.
Welche Aspekte sollten bei der Beurteilung von Erziehungstipps auf Social Media beachtet werden?
Erziehungstipps in den sozialen Medien sind häufig konstruiert. Oft sind es Inszenierungen oder Selbstdarstellungen von Eltern, die zeigen möchten, wie grossartig und perfekt sie sind. Wenn wir den Erziehungsstil beurteilen, ist zudem die Altersfrage zentral: Wie alt sind die Personen, die erziehen und wie sind sie selbst mit Medien aufgewachsen. Ebenso müssen wir unterscheiden, ob Personen auf den Plattformen aktiv nach Erziehungstipps suchen oder sich einfach von Inhalten berieseln lassen möchten.
Welche Rolle spielt der Druck des perfekten Elternseins, der in den sozialen Medien vermittelt wird?
Ausgangspunkt in der Erziehung sind immer die Befindlichkeiten der Eltern. Es ist es schade, wenn sich Eltern nur auf die Ratschläge aus der digitalen Welt stützen und sich nicht mit anderen Eltern austauschen. Bei Anregungen aus dem Internet sollte man den Realitätsgehalt prüfen und beobachten, was das eigene Kind braucht.
Es gibt immer Menschen, die Erziehungsidealen nacheifern.
Wenn Eltern glauben, ihr Kind sei nicht so perfekt und sie müssten nur an gewissen Stellen schrauben, zeigt das für mich, dass sie ihr eigenes Kind nicht mehr sehen, sondern sich nur ein idealisiertes Kind erträumen. In der geträumten Perfektion der Eltern ist das Kind dann ein perfektes Produkt.
Was halten Sie davon, wenn Eltern Erziehungsstile nachahmen, die auf Instagram im Trend liegen? Beispielsweise die #bedürfnisorientierte oder #bindungsorientierte Erziehung.
Es gibt immer Menschen, die Erziehungsidealen nacheifern. Ob Eltern diese Erziehungsstile übernehmen, ist davon abhängig, wie empfänglich sie für diese Trends sind. Die Schwierigkeit liegt darin, dass alles perfekt erscheint und überfordernd sein kann. Dabei vergisst man oft das eigene Herz und lebt nur noch nach einem Modell. In der Pubertät sind Idole dafür da, sich mit ihnen zu identifizieren. Wenn Eltern diese Art der Idealisierung weiterhin pflegen, verzichten sie auf ein aktives und persönliches Handeln in der Erziehung.
Welche Tipps können Sie Eltern für die Kindererziehung mit auf den Weg geben?
Zum einen sollten Eltern vertrauen in sich selbst haben und das eigene Kind lieben, denn die Beziehung ist sehr wichtig. Das bedeutet nicht, dass man als Eltern nicht überfordert sein darf. Wenn Eltern nicht mehr weiter wissen oder es sich über eine längere Zeit schwierig gestaltet, sollten die Erziehungsberechtigten sich Rat oder Hilfe von ausserhalb holen.
Das Gespräch führte Rebecca Küster.