Raúl Krauthausen thematisiert das, was viele nicht-behinderte Menschen manchmal lieber ignorieren würden: Sexualität und Behinderung, Ausbeutung und Gewalt in Behindertentagesstätten, die Nichtexistenz barrierefreier Räume.
Krauthausen, der selbst mit Osteogenesis imperfecta lebt (umgangssprachlich: Glasknochen), macht das mit einer humorvollen, sarkastischen Art, mit der er aufklären, kritisieren und vor allem etwas bewegen möchte.
«Einfach loslegen»
Der verstorbene TV-Moderator Roger Willemsen schrieb über Krauthausen einmal, er betrachte die Welt in Hinblick auf deren Veränderbarkeit. «Einfach loslegen» ist sein Motto. Denn je länger man über etwas nachdenke, desto mehr Gründe gäbe es, es nicht zu tun. Eine Gabe, die bei Krauthausen in fast rastlos wirkender Produktivität mündet.
Er rast von Projekt zu Talkshow und weiter zum nächsten Projekt. Erst vor Kurzem erschien sein mit Benjamin Schwarz verfasstes Buch «Wie kann ich was bewegen? Die Kraft des produktiven Aktivismus».
Schon 2014 veröffentlichte er die erste Autobiografie «Dachdecker wollte ich eh nicht werden». Es folgten Podcasts, Sendungen und das Bundesverdienstkreuz für seinen gemeinnützigen Verein «Sozialhelden».
Weder Aussenseiter noch Überflieger
Ein Held ist für Krauthausen in Anlehnung an den Psychologen Philip Zimbardo eine Person ohne Ausreden. Eine Person, die die eigene Tatenlosigkeit nicht rechtfertigt. Jemand, der verändern will.
Dass er selbst ein selbstständiges Leben voller Tatendrang lebt, ist nicht zuletzt seinen Eltern zu verdanken, die versuchten, ihn ohne Benachteiligung, aber auch ohne Bevorzugung, zu erziehen – insbesondere seine Mutter.
Von Peru nach Berlin
Der 41-Jährige wurde in Peru geboren. Als er eins war, zog die Familie wegen des besseren Bildungs- und Gesundheitssystems nach Westberlin. Dort besuchte er den ersten integrativen Kindergarten Deutschlands und wechselte anschliessend auf eine integrative Schule.
Krauthausen erfüllte weder das Klischee eines Aussenseiters, noch das eines Überfliegers. Er hatte einen festen Freundeskreis und war ein durchschnittlicher Schüler, der seine Behinderung auch mal ausnutzte, um eine gute Note zu bekommen.
Das Bild vom traurigen Behinderten
Dennoch wollte er eigentlich, wie er es selbst ausdrückt, kein «Berufsbehinderter» werden. Es wäre genau das gewesen, was alle von ihm erwartet hätten.
Doch nachdem er zuvor sechs Jahre als Werber und anschliessend beim Berliner Radio «Radio Fritz» arbeitete, kam er mit dem Thema Behinderung durch seine Diplomarbeit neu in Berührung. Darin setzte er sich mit der Darstellung behinderter Menschen im deutschen Fernsehen auseinander und erkannte, dass seine Gefühle auf einmal in Wörtern und Erfahrungen anderer fassbar wurden.
Warum werden behinderte Menschen im Fernsehen immer traurig dargestellt? Warum geht es immer um Erlösung durch Heilung oder den Tod?
Die filmischen Darstellungen manifestieren sich auch im Alltag vieler behinderter Menschen. Ein Alltag, der oft von einer Mischung aus herabsetzender Behandlung, übertriebener Freundlichkeit und Mitleid durchzogen ist. Raúl Krauthausen kämpft ohne Feierabend für einen Alltag mit mehr Gleichberechtigung. Denn Feierabend, sagt Krauthausen, gebe es bei seinem Aktivismus nicht.