Obgleich die Coronakrise alles überschattet, bleibt auch der strukturelle Rassismus im diesjährigen amerikanischen Wahlkampf ein Thema. Die «Black Lives Matter»-Proteste haben der ganzen Welt gezeigt, dass Diskriminierung für Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner nach wie vor zum Alltag gehört – sogar beim Essen.
In den USA gibt es Rassismus schon zum Frühstück. Von der Packung der beliebtesten Pancake-Fertigmischung strahlt Aunt Jemima, eine pausbäckige Schwarze, die trotz ihrer Perlenohrringe an die liebenswert-dämliche Mammy aus «Vom Winde verweht» erinnert.
Die lange Tradition von kulinarischem Rassismus
Mit den Reisgerichten des gutmütig lächelnden und ebenfalls schwarzen Uncle Ben sind sogar Schweizerinnen und Schweizer vertraut. Denn in der amerikanischen Lebensmittelwerbung hat die Verwendung rassistischer Stereotype eine lange Tradition.
«Solche Bilder signalisieren: Hey, das war gutes Essen, das Schwarze für uns kochten», sagt der Food-Historiker Adrian Miller. «Damals in den ‹guten alten Sklavenzeiten›, als Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner noch wussten, wo sich ihr Platz in der Gesellschaft befindet.» Nämlich unten.
Tiktok und Twitter gegen Stereotype
Die einzige Rolle, die Schwarze in dieser Weltordnung zu spielen hätten, ist die der Bediensteten, so Miller. Doch im jetzigen politischen Klima sind gerade jüngere Generationen nicht mehr bereit, derlei zu schlucken.
Hunderttausende haben die betreffenden Lebensmittelkonzerne mit Tiktok-Kampagnen und Twitterstürmen belagert, sodass es diesen nun plötzlich opportun scheint, diversen Marken eine komplett neue Identität zu verleihen. So sollen bis Ende Jahr Uncle Ben und Aunt Jemima verschwinden.
Ein Tropfen auf den heissen Stein: Die amerikanische Populärkultur bildet nämlich ein richtiges Buffet des kulinarischen Rassismus ab. Das Essen wurde und wird nicht nur dazu benutzt, Schwarze kleinzumachen und klein zu halten, sondern auch dazu, sie zu stigmatisieren.
Cartoons von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern, die sich gierig auf ihr Essen stürzen, hatten bis weit ins 20. Jahrhundert Hochkonjunktur: Wassermelonen etwa, deren Saft den Karikierten übers Gesicht läuft, wurden zu einem rassistischen Symbol. So sehr, dass viele Schwarze sich noch heute weigern, Wassermelonen in der Gegenwart von Weissen zu verspeisen.
Kämpfen mit Maisbrot und Pie
Carla Hall hält Essen für politisch. Die US-Starköchin und Autorin mehrerer Kochbuchbestseller hat es sich zur Aufgabe gemacht, Soul Food vor der Vereinnahmung durch den weissen Mainstream zu verteidigen.
«Kentucky Fried Chicken hat mit dem Rezept eines Schwarzen tonnenweise Geld verdient», sagt sie. «Es ist Zeit, dass wir unser kulinarisches Erbe zurückfordern und am Wohlstand dieses Landes teilhaben.» Auf Halls Menü stehen deshalb Fried Chicken, Maisbrot und Süsskartoffel-Pie. Soul-Food-Klassiker mit modernem Twist, selbstbewusst serviert.
«Soul Food ist relevanter denn je»
Wie Carla Hall haben viele schwarze Köchinnen und Köche es satt, entweder unterdrückt oder ignoriert zu werden. Sie beanspruchen ihren Platz im gastronomischen Universum, ohne auf das duldende Wohlwollen jener zu warten, die dieses Universum bisher beherrscht haben.
«Mit Bewegungen wie ‹Black Lives Matter› ist endlich die Gelegenheit gekommen, der Welt die schwarze Kultur in all ihren Dimensionen zu zeigen», sagt Carla Hall. «Unsere Musik, unsere Mode, unsere Sprache und unser Essen. Soul Food ist relevanter denn je.»
Der Kulturkampf am Esstisch
Auch unaufgeregte Beobachter sprechen von einem richtigen Kulturkampf, der sich in den USA zurzeit abspiele – zwischen links und rechts, oben und unten, Schwarz und Weiss.
Der Esstisch ist sicher nicht der unangenehmste Ort, um diesen Kampf auszutragen. Schliesslich bringt Essen die Menschen auch zusammen. Es ist zwar nur schwer vorstellbar, wäre aber ganz wunderbar, wenn sogar Donald Trump und Joe Biden dereinst das Maisbrot miteinander brechen würden.