SRF: 1979 fragt eine Sendung «Buddha für das Abendland»? Der Dalai Lama ist damals in Rikon zu Gast und Buddhismus wird breit für den Westen entdeckt. Wo stehen wir heute?
Marco Genteki Röss: Heute ist der Buddhismus im Westen angekommen, in unterschiedlichen Ausformungen. Als Religion aber auch als modisches Accessoire. Buddhastatuen sind heute auch Einrichtungsgegenstand.
Buddhismus hat ein gutes Image, wird aber zumeist oberflächlich betrieben. Viele glauben, Buddhismus bestehe aus Ritualen oder ein wenig Geistberuhigungsmeditation – eins von vielen Missverständnissen.
Worin bestehen Ihrer Ansicht nach die Missverständnisse?
Ich erlebe oft, dass Zen angeboten wird als eine Art ‹Buddhismus light›. Das hat aber wenig mit der Religion Buddhismus zu tun. Hochkonjunktur hat gerade Achtsamkeitstraining. Der modische Chic dieser Angebote macht mich misstrauisch. Da wird geworben, Zen mache aus Managern bessere Menschen.
Der modische Chic dieser Angebote macht mich misstrauisch.
Die Gefahr besteht, dass Techniken des Zen aus ihrem Zusammenhang gelöst und für ein besseres Funktionieren im Beruf nutzbar gemacht werden, ohne Spiritualität und ohne zum Beispiel das Mitgefühl, das im Buddhismus fest verankert ist. Samurai haben vor langer Zeit meditiert und sind in den Kampf gezogen. Man kann durch Meditation auch Soldaten und Roboter schaffen. Dieses Business heute hat mit Buddhismus wenig zu tun. Buddhismus ist mehr als chillen auf asiatisch.
Beobachten Sie noch mehr Missverständnisse?
Ein weiteres Missverständnis ist, es gebe nur einen Buddhismus und der sei der tibetanische. Das ist natürlich falsch, denn der Buddhismus ist sehr vielfältig. Der Dalai Lama wird praktisch als buddhistischer Papst dargestellt. Andere Lehrer oder Lehrerinnen schaffen es hingegen nur selten in die Medien.
Der Dalai Lama wird praktisch als buddhistischer Papst dargestellt.
Oder Begriffe werden hier bei uns falsch benutzt. «Roshi» ist ein Begriff, den sich viele quasi als Auszeichnung anstecken, dabei wird «Roshi» im japanischen Zen-Buddhismus nicht als Titel verliehen, sondern als respektvolle Anrede für ältere Lehrer benutzt.
Welche Menschen kommen zu Ihnen?
Im Haus der Religionen in Bern, wo ich arbeite, begegne ich Menschen, die auf der Suche sind. Einige gehören einer anderen Religion an und wollen nur mal hereinschauen. Das ist bei uns in Ordnung. Manche kommen einmal und nie wieder. Das ist der Zeitgeist: Sich nicht binden und überall nur mal unverbindlich hereinschauen.
Das ist der Zeitgeist: Sich nicht binden und überall nur mal unverbindlich reinschauen.
Der Buddhismus hat da eine sehr offene Struktur. In einem Kloster in Japan wird man nicht gefragt: «Woher kommst du und was willst du?» Es gibt keinen Zwang zum Übertritt. Der Buddhismus ist weniger streng als das Christentum mit all seinen Sakramenten. In anderen buddhistischen Gruppen gibt es eher regelmässig Meditierende, die nach einiger Zeit nach einem Aufnahmeritual fragen.
Was vermissen westliche Menschen, die Ihnen begegnen, in ihrer eigenen Religion und lässt sie sich mit dem Buddhismus auseinandersetzen?
Auf alle Religionen trifft zu: Menschen suchen etwas. Zumeist nach Schicksalsschlägen. Bei ihrer eigenen Religion werden sie manchmal, aus ihrer Sicht, nicht bedient.
Was macht der Mensch, wenn der Glaube verpufft?
Sie gehen zwar in die Kirche, auch zum Pfarrer, der hat ihnen zumeist aber nicht mehr zu sagen als: «Gott liebt dich, du bist nicht allein.» Aber was macht der Mensch, wenn der Glaube verpufft?
Dann ist er allein mit seinen Problemen und sieht um sich herum Menschen, die sind wahrhaftig keine guten Christen aber scheinen glücklicher zu sein. Da denkt sich mancher: «Denen geht es gut und ich bin unglücklich und allein gelassen.» Im Christentum gibt Gott Halt, im Buddhismus muss und kann ich mir diesen Halt selber geben und bekomme dafür ganz konkrete sowie erprobte Techniken gelehrt.
Wie sind Sie selbst zum Buddhismus gekommen?
Als ich vor 23 Jahren in Japan in einem Zen-Kloster begann regelmässig zu meditieren, hatte ich zuvor zwar viele Bücher gelesen, aber keine buddhistische Praxis. Die Praxis hatte mich schlussendlich verändert und überzeugt, elf Jahre später auch Gelübde im selben Kloster abzulegen.
Später habe ich mich stark mit verschiedenen buddhistischen Richtungen und den Wurzeln des Buddhismus auseinandergesetzt und war auch einige Jahre im Vorstand der Schweizerischen Buddhistischen Union. Trotzdem bezeichne ich mich auch heute noch als Zen-Buddhist, das passt halt doch am besten zu mir.
Woher kommt die Differenz zwischen dem zeitgeistigen Image des Buddhismus und Ihrer Innensicht als Buddhist?
Das hat viel mit der Berichterstattung in Medien zu tun. Ich habe Anlässe erlebt, zum Beispiel in einem singhalesischen Zentrum: Es waren mit grosser Mehrheit westliche Teilnehmer da, aber es wurden fast nur die Singhalesen gefilmt. Nur das bunte exotische Ethno-Image wurde gepflegt.
Nur das bunte exotische Ethno-Image wurde gepflegt.
Dabei ist der Buddhismus längst im Westen angekommen. Erfahrene westliche Lehrer gibt es bereits in der zweiten oder gar dritten Generation. Da wird dann von ‹Laienbuddhisten› geredet. Das habe ich nicht gern. Was soll an denen schlechter sein, als an einem jungen Mönch, der seit einer Woche im Kloster sitzt? Das ist eine abwertende Sicht.
Was nervt Sie noch?
Die Vermarktung des Buddhismus als Stressprävention nach der Devise: Willst du gesund leben, dann achte auf deine Ernährung, treibe Sport und mach’ noch ein bisschen Meditation. Dabei ist buddhistische Meditation eine aktive Arbeit an sich selber, eine Entwicklung des Geistes und nicht nur ein Beruhigungsmittel.