2002 enthüllte ein Journalistenteam des «Boston Globe» ein System der Vertuschung und Versetzung von Priestern im Erzbistum Boston. Für ihre Recherche wurden sie mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Seither ist sexueller Missbrauch durch Kleriker, Ordensleute und kirchliche Angestellte der römisch-katholischen Kirche in der öffentlichen Debatte präsent. Die Aufarbeitung des Themas begann aber schon früher.
USA: 1985 wird der «Doyle-Report» veröffentlicht. Darin fanden zwei Priester und ein Anwalt heraus, dass das Erzbistum Boston 10 Millionen Dollar für die Vertuschung von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker ausgegeben hatte. Die Verfasser des Berichts machten klar, dass es eine transparente Aufarbeitung erfordere, um als Kirche weiterhin glaubwürdig zu sein.
2004 erschien ein innerkirchlicher Bericht zur Krise der katholischen Kirche in den USA sowie eine unabhängige Studie, die 10'667 mögliche Fälle von sexuellem Missbrauch und 4’392 Beschuldigte zwischen 1950 und 2002 identifizierte. Die Aufarbeitung trieben insbesondere Anwältinnen und Anwälte voran.
Irland: 1995 löste der Fall eines Priesters, der über Jahre hinweg 90 Kinder sexuell missbraucht hatte, öffentliches Entsetzen aus. 1997 übernahm die irische Regierung die Verantwortung für systematische Missbräuche, wegen der engen Verflechtung von Staat und Kirche in Irland.
Bekannt sind insbesondere Berichte aus katholischen Kinderheimen. 2002 wurde auf Druck staatlicher Verantwortlicher eine offizielle Untersuchung durchgeführt. Weitere Untersuchungen zu Bistümern und Heimen folgten.
Deutschland: 2002 reagierten die deutschen Bischöfe auf die Skandale in den USA und Irland: Sie erliessen Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger. Doch erst nach den Enthüllungen am Canisius-Kolleg in Berlin überprüften die Bistümer ihre Archive und Personalakten.
2014 wurde eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben. Für die Jahre 1946 bis 2014 konnten 1’670 Beschuldigte identifiziert und 3'677 Betroffene gefunden werden. Einzelne Bistümer gaben zudem bistumsspezifische Studien in Auftrag.
Frankreich: 2016 wurden mehrere Missbrauchsfälle bekannt. Ins Blickfeld geriet der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, der Übergriffe des Priesters Bernard Preynat vertuscht haben soll.
Nach Bekanntgabe der «Preynat-Barbarin-Affäre» gaben die Bischöfe und die Konferenz der Ordensgemeinschaften 2018 eine unabhängige Studie in Auftrag. Darin ist von rund 330'000 Betroffenen und 2'900 bis 3'200 Beschuldigten die Rede.
Portugal: 2021 gaben die Bischöfe eine unabhängige Studie in Auftrag, die dieses Jahr veröffentlicht wurde. Seit 1950 soll es mehr als 4'800 Fälle von sexuellem Missbrauch durch Kleriker und kirchliche Angestellte gegeben haben.
Italien: 2022 publizierte die Betroffenenorganisation «Rete l’ABUSO» einen Bericht. Eine unabhängige Studie fehlt.
Polen: Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema ist kaum vorhanden. Bislang gibt es keine breit angelegte unabhängige Studie.
Spanien: Auch in Spanien gibt es bislang keine systematische Aufarbeitung. Die römisch-katholische Kirche weigert sich, die Medien machen jedoch auf Fälle sexuellen Missbrauchs aufmerksam. Die Zeitung «El Pais» sammelt sie seit 2018 und kommt auf knapp 1’000 Fälle.