Ein Wimmern aus dem Kinderzimmer, zuerst leise, dann lauter. Dann schreit Edna. «Gehst du oder soll ich?» Elena schielt über den Tisch zu Christian.
Dieser steht auf und hat mit drei Schritten das Nebenzimmer erreicht. Er hebt die neun Monate alte Edna aus dem Bettchen, nimmt sie auf den Arm und flüstert ihr leise zu.
Auch Elena steht auf und verschwindet in der Küche. Sie kocht Brokkoli weich, Brei für den nächsten Tag. Es bleiben zurück: halbvolle Weingläser, Reste des Abendessens, die Kerze brennt noch. Zeugnisse einer kostbaren Rarität: die Zeit zu Zweit.
Zerreissprobe Familie
Seit gut einem Jahr sind Christian und Elena eine kleine Familie. Im Mai kam Tochter Edna auf die Welt – alles veränderte sich. Eine Krise bahnte sich an.
«Uns hat einfach die Zeit und Kraft gefehlt, um uns einen Abend lang hinzusetzen und über unser Leben zu reden», sagt Christian, das Kind im Arm, blaue Knopfaugen blinzeln ihn an.
Christian ist 36 Jahre alt und arbeitet als Autor und Kommunikationsberater in einem Unternehmen. Nach der Geburt blieb er zwei Wochen zu Hause. Dann begann er wieder mit Arbeiten – im Home-Office.
«Mich brauchte es nicht»
Doch daheim kam er sich vor wie das fünfte Rad am Wagen. Seine Frau stillte das Kind und er sass daneben. «Ich hätte auch arbeiten gehen können. Mich brauchte es nicht wirklich.» Eifersüchtig war er, ja. «Ich fand mich in einer Rolle wieder, in der ich eigentlich nicht sein wollte.»
Das habe für Reibungen gesorgt. Die Nächte waren lang und anstrengend. Im Stundenrhythmus wollte die kleine Edna gestillt werden. «Das blieb an mir hängen», sagt die 27-jährige Mutter und schiebt nach: «Daran hatte ich zu beissen.»
Beide machen alles
Das Stillen ist eine Aufgabe von vielen. Christian kümmerte sich um die anderen Dinge im Haushalt. «Du hast eingekauft, die Wäsche gemacht, gekocht. All das, wofür ich keine Energie mehr hatte», erinnert sich Elena.
Schon vor der Geburt war für das Paar klar, dass sie nach dem partnerschaftlichen Modell leben werden, auch genannt: 50/50. Ein Modell, für das sich laut Bundesamt für Statistik schweizweit nur 6,5 Prozent der Eltern mit einem Kleinkind entscheiden.
Gleichberechtigung auch mit Kind
«Das Modell entspricht unserer Lebensart, unserem Verständnis einer gleichberechtigten Beziehung», so Elena. «Wir probieren gerne Neues aus, verändern Dinge, nehmen sie aber rückblickend auch wieder kritisch auseinander.» Ihr Ziel sei, im Leben vorwärts zu kommen. Dazu gehöre auch das 50/50-Modell.
Nach drei Monaten Mutterschaftsurlaub nahm Elena ihre Arbeit als Kommunikationsverantwortliche in einem Theaterbetrieb wieder auf. Trotz langen Nächten und wenig Schlaf, war es die richtige Entscheidung – auch für die Beziehung.
«Die Arbeit gab mir so viel Energie», sagt Elena. Sie wusste: «Das Kind ist gut versorgt und ich kann mich der Arbeit widmen.»
Beide arbeiten Teilzeit, sie 60 Prozent und er 80 Prozent. Edna geht drei Tage in die Krippe, der Donnerstag ist ihr gemeinsamer Familientag.
Viel Organisation
Wer sich für das partnerschaftliche Modell entscheidet, braucht Organisationstalent und Flexibilität. In Stein gemeisselt ist nichts. «Man muss jeden Tag neu besprechen: Wer kocht, wer bringt das Kind zur Kita, wer geht es abholen, wer bleibt daheim, wenn es krank ist», erklärt Elena.
Trotz allem: Die Rahmenbedingungen, damit das partnerschaftliche Modell gelingt, müssen gegeben sein – etwa die Arbeitssituation.
«Wir können die Arbeitszeiten flexibel einteilen und auch mal von Zuhause arbeiten.» Das sei nicht in jedem Job möglich. Umso mehr müsste sich gesellschaftlich, aber auch politisch dringend etwas ändern.
Gesellschaftliche Akzeptanz
Nach einer Geburt sei die Mutter in einer sensiblen Situation. Sie habe das Bedürfnis nach Schutz und Unterstützung. Elena wird ernst. Und wer bietet das? Der Partner. «Ich verstehe nicht, warum dieser nicht daheim sein kann oder Ferien nehmen muss.» Die Geburt sei eine Ausnahmesituation, die vom Staat als solche aber nicht anerkannt würde.
Edna hat sich inzwischen beruhigt und schläft. Elena und Christian gönnen sich den letzten Schluck Wein, bevor sie müde ins Bett fallen. Sie sind wieder zu einem Team zusammengewachsen – nun zu dritt.