Die Soziologin Margret Bürgisser untersucht die Rollenteilung in Familien. Während 20 Jahren hat sie Elternpaare mehrfach interviewt. Sie hat mit 28 Paaren gesprochen, die sich Arbeit, Kinderbetreuung und Haushalt von Anfang an geteilt haben.
In der neuesten Befragung war die Folge-Generation dran: Bürgisser hat die Söhne und Töchter der beteiligten Paare befragt. Fazit: Die meisten der 60 jungen Erwachsenen geben an, dieses häusliche Arrangement in ihrer Kindheit als etwas «Spezielles» erlebt zu haben. Aber was heisst das?
Anders als die anderen
Einige Töchter erinnern sich, dass ihre Situation bei anderen Erstaunen ausgelöst habe – sodass sie sich manchmal «geschämt» hätten, nicht der Norm zu entsprechen.
Solche Situationen gab es etwa, wenn Papa im «Mutter-Kind-Turnen» auftauchte.
Auch später lösten die Kinder manchmal Stirnrunzeln bei Gleichaltrigen aus: «Eine Freundin glaubte mir fast nicht, dass mein Vater wäscht und bügelt und meine Mutter die Einzahlungen macht.»
Enge Beziehung
Als Erwachsene dagegen sehen sie das Familienmodell, mit dem sie gross geworden sind – von beiden Eltern umfassend betreut worden zu sein – überwiegend positiv.
Rund 85 Prozent geben an, dass sie auf diese Weise sowohl zur Mutter wie auch zum Vater eine emotionale Beziehung entwickeln konnten, die bis heute anhält. Diese Verbundenheit betrachten auch jene als Vorteil, die von einer Trennung der Eltern betroffen waren. Dies war bei einem Viertel der Paare der Fall.
Die Mehrheit der Töchter und Söhne geben an, sie hätten durch die gelebte Rollenteilung erfahren, dass Mutter sowie Vater die verschiedensten Aufgaben erledigen können.
Ihnen seien wichtige Werte vermittelt worden – wie Offenheit, Toleranz, Gleichberechtigung und Flexibilität. Sie haben eine alternative Familienorganisation kennengelernt, die tradierte Geschlechterrollen aufgebrochen hat.
Stereotypen halten sich dennoch
Trotz der gelebten Arbeitsteilung der Eltern, hat sich das eine oder andere Geschlechter-Stereotyp halten können: Söhne heben in der Befragung die «Präsenz der Väter» hervor, erwähnen jedoch jene der Mütter kaum. Die Töchter betonen die Fähigkeiten ihrer Väter als Hausmänner. Obwohl sie mit dieser Rollenaufteilung aufgewachsen sind.
Ein überraschendes Resultat der Studie von Margret Bürgisser: Der Kinderwunsch ist bei den befragten Männern ausgeprägter als bei den Frauen. Dies widerspricht der Annahme, Frauen seien bei der Familiengründung nach wie vor die treibenden Kräfte.
Nachahmenswertes Familienmodell
Die Mehrheit der Befragten finden das alternative Familienmodell nachahmenswert: «Meine Eltern haben mir mit dieser Rollenteilung ein sehr aufgeklärtes und modernes Bild einer gleichberechtigten Ehe mitgegeben», so eine junge Frau.
Vier von fünf Befragten sehen sich in Zukunft selbst in der Situation, Teilzeit zu arbeiten und gemeinsam die Kinder zu betreuen. Ein kleiner Teil wünscht sich ein Modell, bei dem beide Elternteile 100 Prozent arbeiten können. Das in der Schweiz dagegen am weitesten verbreitete Modell – der Mann arbeitet voll und die Frau verdient teilzeitlich dazu – findet wenig Zustimmung.