«Je näher ich Gott komme, desto glücklicher werde ich», sagt Nick und strahlt. «Jetzt suche ich seine Nähe und möchte ihm einfach dienen.»
Nick ist 21 Jahre jung, hat einen dunkeln Wuschelkopf und jede Menge Energie. Er besucht gerade für ein Wochenende das Kloster Einsiedeln, gemeinsam mit sieben weiteren jungen Männern. Sie alle interessieren sich für das Leben im Kloster und spielen mit dem Gedanken, in einen Orden einzutreten.
Gemeinsam ist ihnen ein tiefer Glaube und der Wunsch, das Leben auf die eine oder andere Weise Gott zu widmen. Wie, das versuchen sie an diesem Wochenende herauszufinden. Die jungen Männer stammen aus der Schweiz, aus Deutschland und aus Österreich.
Nicht alle möchten ihre Gedanken über ein Leben im Kloster öffentlich äussern. Lukas, ein deutscher Berufssoldat, Matthias, ein Konstrukteur aus Österreich und Wuschelkopf Nick sind bereit, über ihre Wünsche, Hoffnungen und Zweifel zu sprechen. Aber nur, wenn sie ihren Nachnamen nicht nennen müssen.
«Gott war mein bester Freund»
«Ich bin so glücklich», sagt Nick, «ich habe immer Energie. Und wenn ich mal nicht weiter weiss, bete ich zu Gott und suche nach Antworten, mit dem Wissen, dass Gott hinter mir steht.» Und meist ergebe sich innert Kürze eine Lösung, sagt Nick. Sein Motto: Vertrauen und Vollgas geben.
Selbstverständlich ist das nicht. Nick hatte eine schwierige Kindheit, wuchs zwischenzeitlich in einem Heim für Problemkinder auf. «Gott war mein bester Freund, mein einziger Gesprächspartner. Er hat mir zugehört. Ich habe es gespürt und das hat mir geholfen.»
Das Leben im Kloster wäre für Nick ein Weg, Gott nahe zu sein. Doch er hat auch Zweifel. «Ich möchte in meinem Leben etwas bewirken, das Leben anderer zum Positiven verändern», sagt Nick.
Er fragt sich dabei, ob er dazu als Mönch oder Ordensmann genug Einfluss habe und ob er ins Kloster passe. «Vielleicht bin ich noch zu hibbelig.»
Ein wertvolles Leben über den Tod hinaus
Lukas, der Berufssoldat, ist einige Jahre älter als Nick und sehr klar – in seinem Auftreten und in seinen Aussagen. «Ich möchte, wenn der Tag kommt, auf mein Leben zurückblicken und sagen können: Ich habe etwas getan, das über das Leben hinaus Wert hat.»
Für Lukas ist klar: Gott hat einen Plan. «Ich habe bis jetzt nur noch nie geklärt, wo er mich haben möchte.» Der Eintritt ins Kloster oder in einen Orden ist eine Option.
Doch Lukas fragt sich, ob er als Mönch für seine Familie, seine Eltern und Geschwister da sein könnte. «Ich müsste alle, die mir wichtig sind, in die Hände Gottes geben, und mich distanzieren. Das ist eine Herausforderung.»
«Alleine schaffe ich es nicht»
Während Lukas und Nick noch auf der Suche nach dem richtigen Weg sind, hat sich Matthias bereits entschieden. Der Konstrukteur möchte Priester oder Ordensmann werden, wobei es ihn eher in einen Orden zieht, und zwar wegen der Gemeinschaft. Denn er glaubt: «Alleine schaffe ich es nicht.»
Obwohl sich Matthias sicher ist, dass er sein Leben Gott widmen möchte, hat auch er seine Zweifel. «Treffe ich vielleicht eine falsche Entscheidung, die ich bereuen werde? Bin ich geeignet? Werden mir im Orden Aufgaben zugetragen, die mich überfordern? Halte ich es durch, ein Leben lang im Orden zu leben?»
Leben mit Gott, aber ohne Sex
Matthias, Nick und Lukas machen sich viele Gedanken, hinterfragen ihren Wunsch, ins Kloster zu ziehen. Doch ein Thema schneiden sie von sich aus nicht an: das Zölibat. «Ich habe mir darüber noch gar nicht so viele Gedanken gemacht», sagt Nick, der durchaus gern feiern geht.
Matthias hingegen schon: «Ich fühle mich wohl bei dem Gedanken an ein Leben ohne Sex», sagt Matthias. «Vor einigen Jahren habe ich bemerkt, dass ein Leben in einer Beziehung nicht mein Weg ist.»
Das Verlangen und die Sehnsüchte bleiben.
Auch Lukas glaubt, dass er auf Sex verzichten könnte. «Das Zölibat hat heutzutage einen sehr schlechten Ruf», findet er. Dabei unterscheide es sich nicht so sehr von einer Ehe. «Auch in einer Ehe entscheide ich mich für eine Frau und kann dann nicht mit allen anderen schlafen.»
Nur muss man in der Ehe nicht ganz auf Sex verzichten. «Das stimmt», sagt Lukas. Doch er ist überzeugt: «Wer sein Gewissen erforscht und Gottes Segen für das zölibatäre Leben hat, der kann das.»
Eine Entscheidung fürs Leben
Ist es so einfach? Jein, sagt Pater Thomas. Der Einsiedler Mönch hat das Wochenende für Klosterinteressierte organisiert. Pater Thomas, heute Ende 30, ist Mitte 20 Mönch geworden. «Wer denkt, wenn man ins Kloster eintritt, verschwinden alle Bedürfnisse, der irrt. Das Verlangen, die Sehnsüchte bleiben.»
Damit gelte es ehrlich umzugehen. Doch Pater Thomas betont: Auf tragende Beziehungen müsse man im Kloster nicht verzichten. «Eine Person, mit der ich durchs Leben gehe – meine Sorgen und Freude teile. Das finde ich auch im Kloster.»
Pater Thomas hat gemeinsam mit einem Mitbruder ein Buch geschrieben, eine Art Führer zum Ordensleben. Die Gedanken, die sich Matthias, Nick und Lukas machten, seien typisch, sagt er.
Zuvorderst stünde bei den meisten die Frage: Kann ich mich heute für die Ewigkeit verpflichten? Wer ins Kloster oder in einen Orden eintritt, hat meist eine Art Probezeit. Danach schwört man einen Eid fürs Leben.
Eine aussterbende Spezies
Ist das noch zeitgemäss? Die Zahlen sagen Nein.
Und doch ist Pater Thomas überzeugt, dass es heute nicht weniger Menschen als früher gebe, die eine Berufung für das Ordensleben haben. «Doch die Umstände machen es ihnen schwer, herauszufinden, wohin die diffuse Sehnsucht nach mehr führen könnte.»
Es fehlten die Vorbilder für ein geistliches Leben, glaubt der Einsiedler Mönch. Und die Musse, die Berufung überhaupt zu erkennen.
Nonne, durch Zufall
Schwester Deborah hat ihre Berufung erkannt, wenn auch eher durch Zufall. Die 31-jährige Solothurnerin ist Novizin im Kloster Cazis. In der Probezeit also. Vor gut zwei Jahren ist sie ins Kloster eingetreten.
Die Berufung kam für sie selbst ziemlich überraschend. «Bis vor vier Jahren habe ich keinen Gedanken ans Kloster verschwendet», erzählt sie. Debbie, wie sie von ihren Freunden und der Familie genannt wurde, studierte Informatik und spielte E-Gitarre. In ihrer Freizeit ging sie an Rockfestivals.
Doch dann ging plötzlich nichts mehr. «Ich war nur noch müde, fiel durch alle Prüfungen», erinnert sie sich. Die Diagnose: Eisenmangel. Ihr Arzt riet zu einer Auszeit und eine Freundin nahm sie mit ins Kloster Cazis, das Gästezimmer anbietet.
Ich hoffe nicht, dass ich irgendwann die einzige bin.
«Als ich zum ersten Mal die Kapelle betrat, war es, als würde ich nach Hause kommen.» Später erinnerte sie sich, dass sie die Kapelle als Kind bereits in einem Traum gesehen hatte.
Deborah meldete sich kurzerhand für drei Wochen Probewohnen im Kloster an und danach stand der Entschluss fest: Sie wollte, damals 27-jährig, Nonne werden.
«Warum wirfst Du Dein Leben weg?»
Um sicherzugehen, gab sie sich ein Jahr Zeit. Freunde und Familie reagierten zunächst mit Unverständnis. «Meine Familie ist ziemlich erschrocken. Heute unterstützen sie mich.»
Anders der Freundeskreis. «Meine Freunde sind atheistisch. Sie konnten meine Entscheidung nicht nachvollziehen.» Wieso wirfst Du Dein Leben weg, fragten sie Deborah, wenn auch nicht so direkt. «Wer nicht gläubig ist, kann einen solchen Schritt schlicht nicht nachvollziehen», glaubt Schwester Deborah.
Trotz des Unverständnisses im engsten Umfeld liess sich Deborah nicht beirren und lebt nun seit über zwei Jahren im Kloster. Die grösste Herausforderung sei das Leben in der Gemeinschaft, eng aufeinander, mit über 40 anderen Frauen, die sie sich nicht ausgesucht hat.
Doch genau diese Gemeinschaft sei auch sehr bereichernd. «Wir sind gemeinsam unterwegs, ich kann aus einem reichen Schatz an Erfahrungen schöpfen», sagt Schwester Deborah.
Gottvertrauen statt Zukunftssorgen
Was Deborah hier als «Schatz an Erfahrungen» beschreibt, heisst konkret: Die meisten Nonnen im Kloster Cazis sind im Pensionsalter. Zwar leben auch einige Nonnen in den Vierzigern und Fünfzigern im Kloster, und eine Mitnovizin ist Ende 20. «Das ist toll, besonders beim Sport und beim Musizieren.»
Doch das Kloster ist überaltert, wie so viele andere in der Schweiz. Macht sich die junge Nonne keine Sorgen über ihre Zukunft in einer Gemeinschaft, die aus vielen betagten – und wenigen jungen Frauen besteht? «Ich hoffe nicht, dass ich irgendwann die einzige bin», sagt Deborah.
Zu viele Gedanken will sie darauf nicht verschwenden. «Das bringt nichts», meint sie. Schwester Deborah wünscht sich, dass weitere junge Frauen ihren Weg ins Kloster finden. «Vor allem aber hoffe ich, dass jeder Mensch seine Erfüllung findet – ob im Kloster oder woanders.»