Ab 2020 sollen im neuen Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich die Bilder aus der Sammlung Bührle zu sehen sein, die als Leihgabe ans Zürcher Kunsthaus gehen.
Der Ausstellungsmacher Guido Magnaguagno kann sich darüber nicht richtig freuen, auch wenn er einst Vizedirektor des Kunsthauses war: «Natürlich darf oder kann man die Bilder zeigen, jedoch nicht einfach als reinen Kunstgenuss – weil so viel Blut daran klebt.»
NS-Raubkunst in Zürich?
Der Waffenfabrikant Emil Bührle war ein grosser Kunstsammler – woher die Werke für seine Sammlung kamen, das interessierte ihn in den 1930er- und 1940er-Jahren nicht sonderlich. Bührle kaufte auch NS-Raubkunst und musste sie nach dem Krieg zurückgeben.
Guido Magnaguagno und der Historiker Thomas Buomberger legen nun das «Schwarzbuch Bührle» vor, dokumentieren darin die Geschichte des Waffenfabrikanten und seiner Sammlung. Es brauche eine öffentliche Diskussion, so das Fazit der Publikation, die im Untertitel provokant fragt: «Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?»
Erinnerung oder Polemik?
Die Stiftung Sammlung Bührle reagiert dezidiert auf das Buch, schreibt in einer Stellungnahme von «absurden Behauptungen» und dem Versuch, Bührles Bilder mit einem «Generalverdacht» zu belegen.
Auf Anfrage von Radio SRF äussert sich der Direktor der Stiftung Sammlung Bührle, Lukas Gloor, schriftlich: «Selbstverständlich soll die Erinnerung an die Vorgänge rund um Raubkunst nicht verdrängt werden. Es wird aber kurzerhand behauptet, dass die Problem-Bilder der Sammlung Bührle weit über die Hälfte der Dauerleihgaben ausmachen würden. Damit ist der Schritt vom wachen Erinnern zur Polemik vollzogen.»
Bilder aus dem Besitz von Hitler und Göring
Beiträge zum Thema
Guido Magnaguagno dokumentiert in seinem Aufsatz einige Fallbeispiele aus der Stiftung Sammlung Bührle. Er weist darauf hin, dass Bührle nach dem Krieg legal Bilder kaufte, die einst Hitler und Göring gehörten. Er legt den Finger auf Lücken und Verdachtsmomente in Bezug auf die Herkunftsgeschichte von 19 Bildern.
Dem hält die Stiftung Sammlung Bührle entgegen: Nur vier der besprochenen Bilder würden tatsächlich Lücken aufweisen, alle anderen Provenienzen, also die Herkunftsgeschichten, seien geklärt. Ausserdem lasse nicht jede Lücke zwingend auf Unrecht schliessen.
Die Stiftung jedenfalls arbeitet seit Jahren daran, die Provenienzen ihrer Bilder aufzuarbeiten und veröffentlicht sie online. Das reicht Guido Magnaguagno nicht: «Unser Buch ist ein Aufruf, sich das genauer anzuschauen. Im Übrigen verlangen wir eine unabhängige Überprüfung dieser Provenienzen.»
Mit einer unabhängigen Prüfung habe er kein Problem, entgegnet der Direktor der Stiftung Sammlung Bührle Lukas Gloor auf Anfrage wiederum schriftlich: «Die Stiftung beantwortet schon heute jede konkrete Anfrage zu einzelnen Bildern unter Beilage von Kopien der zitierten Dokumente.»
Keine Bilder ohne Dokumentationsraum
Die komplexe Geschichte der Bilder von Bührle soll – so fordern die Herausgeber des «Schwarzbuch Bührle» – in einem Dokumentationsraum zukünftigen Museumsbesuchern vermittelt werden. Dem würde auch das Kunsthaus Zürich zustimmen: Der Leihvertrag zwischen Stiftung und Kunsthaus sehe genau so eine Dokumentation vor.
«Wie das im Einzelnen gemacht wird, ist in unseren Augen die Sache von denen, die dann 2020 im Kunsthaus im Amt sind. Entscheidend ist, dass festgeschrieben wird, es muss diese Dokumentation geben und sie muss zugänglich sein», meint Philippe Büttner, Sammlungskonservator am Kunsthaus.
Diskussion dank Gurlitt
Neue Raubkunst enthüllt das «Schwarzbuch Bührle» nicht und viele der Forderungen, die die Herausgeber erheben, kann die Gegenseite stichhaltig beantworten. Ein Sturm im Wasserglas ist das Buch trotzdem nicht: Das «Schwarzbuch Bührle» lanciert die Diskussion um Fluchtkunst. Und die hängt mit dem Namen Gurlitt zusammen.
Seitdem das Kunstmuseum Bern die Gurlitt-Sammlung als Erbe annahm – ob sie sie tatsächlich erhält, müssen Gerichte noch entscheiden – hat die Diskussion um Fluchtgut neuen Auftrieb erhalten. Denn Bern lässt die Sammlung Gurlitt nach strengen, deutschen Massstäben untersuchen: Was als verfolgungsbedingter Verlust gelten könnte, wird nicht nach Bern kommen. Das heisst, auch Bilder, die von jüdischen Sammlern selbst im sicheren Ausland verkauft wurden, sind möglicherweise restitutionswürdig – weil es Notverkäufe in einer Zwangslage waren.
Ist die Schweiz mitschuldig?
Diese Restriktion betrifft nicht nur das Berner Kunstmuseum, es könnte auch die Stiftung Sammlung Bührle oder andere betreffen. «Ich glaub dieser Massstab, der jetzt in Deutschland gilt, gilt seit dem Fall Gurlitt auch für die Schweiz», sagt Guido Magnaguagno.
Lukas Gloor, Direktor der Stiftung Sammlung Bührle kontert: «Es ist zweifellos richtig, von der moralischen Komponente öffentlich zu sprechen. Fluchtkunst ist aber eine überaus komplexe Angelegenheit. Nicht jeder Emigrant, der ein Bild verkaufte, wurde übers Ohr gehauen, weil der Käufer seine Notlage ausnutzte. Für die Schweiz, die solche Fluchtkunst geradezu angezogen hat, würde das eine Mitschuld an den Verhältnissen implizieren, die Gründe für die Flucht und Notlage waren. Das ist historisch inakzeptabel.»
Schwierige Fragen, die auf Antworten warten
Hinter den hellen Bildern der Sammlung Bührle stecken schwierige Fragen, die auf Antworten warten. Die Schweiz wird sich der Diskussion um Fluchtgut stellen müssen. Dreh- und Angelpunkt ist die Erforschung der Herkunft der Bilder, die auch die Umstände eines Verkaufs berücksichtigen muss. Damit über 70 Jahre nach Kriegsende begangenes Unrecht nicht stillschweigend fortgesetzt wird.