Wird man in Saudi-Arabien als Frau geboren, bedeutet dies lebenslange Unterwerfung. Das strikte Regelwerk: Frauen dürfen nicht Auto fahren, sich in der Öffentlichkeit nur vollständig verschleiert und in Begleitung eines männlichen Verwandten bewegen. Sie dürfen nahezu keine eigenständigen Entscheidungen treffen und stehen auf Lebenszeit unter männlicher Vormundschaft. Die minderwertige Stellung der Frau wird religiös begründet. Und noch heute verfassen islamische Gelehrte in Saudi-Arabien Fatwas, Erlasse, die tief in die weibliche Intimsphäre eingreifen – von der Menstruation bis hin zum Tragen von Make-Up.
Eine sehr junge Bevölkerung
In einer Gesellschaft wie der saudi-arabischen sind deshalb schon die sanftesten Reformversuche Ausdruck für erheblichen sozialen Wandel. Die Journalistin Karen Elliott House macht in ihrem 2013 veröffentlichten Buch «On Saudi-Arabia» eine spürbare Intensivierung von Engagement zugunsten der gesellschaftlichen Stellung der Frau aus.
Zu verdanken sei dies vor allem dem breiteren Zugang zu Bildung und deren qualitativer Steigerung. Auch äussere Einflüsse wie erleichtertes Reisen und die rege Nutzung des Internets lassen gerade junge Frauen grössere Erwartungen an individuelle Selbstverwirklichung und eigene Freiheiten stellen. Und die saudische Bevölkerung ist äusserst jung: Die Hälfte ist unter 25 Jahre alt.
Königliches Entgegenkommen
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Gleichzeitig begann der am 23. Januar verstorbene saudische König Abdullah ibn Abd al-Aziz seit seinem Amtsantritt 2005 die Rechte und Einflussmöglichkeiten der Frauen auszuweiten. Seit König Abdullah ist es Frauen beispielsweise erlaubt, einen eigenen Personalausweis mit Fotografie zu besitzen. Sie können nun erstmals ohne männliche Erlaubnis in ein Hotel einchecken, eine Wohnung mieten oder eine Firma gründen. Und 2011 versprach der König den Frauen Zugang zu den Kommunalwahlen dieses Jahres.
Die bisherigen Vorstösse sind bescheiden und die Chancen auf eine weitere Öffnung fragil. Der neue König Salman ibn Abd al-Aziz gilt als reaktionärer als sein Vorgänger. Wie viel von den sozialen Reformen übrig bleiben wird, ist ungewiss. König Abdullah ermutigte zu seinen Lebzeiten mit seiner Politik jedoch viele Frauen dazu, sich weiterhin für ihre Rechte einzusetzen.
Protest vor und hinter der Kamera
So versuchen immer mehr Frauen selber durch Kampagnen und sanften Widerstand die saudische Gesellschaft zum Umdenken zu bewegen. In einem Akt von zivilem Ungehorsam startete 2011 eine Gruppe von Frauen die «Women2Drive-Campaign», die demonstrative Autofahrten von Frauen durch die Innenstadt organisierte. Im Internet werden Frauen dazu aufgerufen, sich selbst beim Autofahren zu filmen und die Videos auf die Webseite der Kampagne zu laden.
Eine andere Form der Anregung zur Gesellschaftskritik stellt der 2012 erschienene saudische Kinofilm «Wadjda» dar. Es ist der erste Film überhaupt aus Saudi-Arabien, wo Kinos grundsätzlich verboten sind. Gedreht wurde der Film unter widrigsten Umständen, von einer Frau: Haifaa Al Mansour. Im Film porträtiert sie das Leben eines saudischen Mädchens, das sich trotz Verbot nichts sehnlicher wünscht als ein Fahrrad.
Mit viel Feingefühl zum Ziel
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Nicht alle Frauen wollen die Gesellschaft verändern. Der soziale Druck der konservativen Bevölkerung ist enorm, Reformen müssen vorsichtig und geduldig in die Wege geleitet werden. Auch westlich orientierte Frauen schätzen gewisse Aspekte der behüteten Rolle der Frau im Islam. Die Aktivistinnen wählen daher meistens keine direkte Konfrontation, sondern untermauern die Vorstösse mit religiösen Argumenten.
Gleichwohl scheinen die Ursprünge dieser Unterdrückung der Frauen oft traditionsbedingt. Zumal die religiöse Argumentation häufig widersprüchlich erscheint. Und Aspekte des saudischen Lebens betrifft, die zu Zeiten des Propheten noch gar nicht existierten.
Bröckelnde Stabilität verspricht Hoffnung
Ironischerweise war es der Reichtum aus dem Öl, der es überhaupt erst ermöglichte, die Hälfte der produktiven Bevölkerung von der Öffentlichkeit zu verbannen. Bevor in den 1980er-Jahren der Grossteil der saudischen Bevölkerung von den ländlichen Dörfern in die urbanen Zentren abwanderte, war deren Gesellschaft weit weniger restriktiv, erklärt die Journalistin Karen Elliott House.
Die finanzielle Stabilität des Landes ist jedoch aus innen-, wie auch aussenpolitischen Gründen immer stärker gefährdet. Die ansteigende Bevölkerung und die erhöhten Erwartungen der Öffentlichkeit setzen den Staat unter Druck. Nicht zuletzt wollen die saudischen Frauen vor allem arbeiten, ihre hohen Bildungsabschlüsse umsetzen und in der Geschäftswelt mitmischen können. Sie befinden sich noch immer im Käfig eines männlich ausgerichteten Gesellschaftssystems. Doch in mehr und mehr Köpfen beginnt die Möglichkeit eines Ausbruchs Gestalt anzunehmen.