Haifa Al-Mansur ist eine saudi-arabische Filmemacherin. Sie ist Teilnehmerin am World Economic Forum und sprach über die Macht von Kunst für eine Gesellschaft. «Das Mädchen Wadjda» (2012) ist ihr erster Kinofilm und gilt als der erste komplett in Saudi-Arabien gedrehte Spielfilm. Christa Gall traf die 40-jährige Regisseurin zum Interview.
SRF: Der in dieser Woche verstorbene saudische König Abdullah galt als Reformer und Modernisierer – zumindest für saudi-arabische Verhältnisse. Was denken Sie über den König?
Haifa Al-Mansur: Die Menschen liebten ihn, weil er der traditionelle Anführer ist und weil er mit beiden Füssen auf dem Boden stand. Unter seiner Ägide wurden viele kleine Projekte für Frauen gestartet. Er wählte einen sehr umtriebigen Minister für Bildung, der fortschrittlich denkt. Wir hoffen, dass der neue König diese Traditionen der Reformen nun fortführt. Denn wir müssen zwingend über uns nachdenken, nach dem Massaker in Paris speziell auch über unsere Toleranz.
Was hat sich denn in der Zeit von König Abdullah im Alltag verändert?
Es war Frauen beispielsweise nicht erlaubt, ausserhalb von Saudi-Arabien zu studieren. Das ist jetzt anders. Allgemein haben wir ein Schulsystem, das Männern wie Frauen viel mehr Möglichkeiten bietet. Das mag für Sie jetzt nach nichts klingen, aber es ermutigt Frauen hinauszugehen, es ermutigt sie, neue Lebenskonzepte zu entwerfen. Das ist wichtig. Im Moment haben sich diese neue Möglichkeiten noch nicht in der Gesellschaft festgesetzt. Die Leute denken oft noch in traditionellen Mustern.
Sie haben als erste Frau aus Saudi-Arabien Regie für einen Film geführt. Können Sie etwas über die Umstände erzählen?
Ehrlich, ich dachte nicht, dass ich je einen Film machen würde. Es ist nicht einfach, an Orten zu drehen, wo die Leute Kameras nicht wirklich mögen. Ausserdem bin ich auch noch eine Frau. Ich war deshalb sehr nervös. Aber ich hatte deutsche Produzenten, die sehr mutig waren. Die kamen nach Saudi-Arabien und loteten die Möglichkeiten aus. So bekamen wir die Erlaubnis zum Filmen.
Aber eine Erlaubnis alleine will noch nichts heissen. Die Leute auf der Strasse wollten immer wieder, dass wir die Kameras abstellen, sie störten auch den Dreh.
Sie sagten mir auch, ich könne nicht in der Öffentlichkeit mit Männern zusammenarbeiten. So musste ich entweder weggehen oder ich musste mich irgendwo verstecken. Das sind nicht gerade gute Voraussetzungen, Regie zu führen.
Was spornte Sie an durchzuhalten?
Es ist sehr wichtig, dass wir den Film gemacht haben, dass wir Grenzen ausgelotet haben. Ich meine damit nicht, dass man provozieren muss. Es geht mehr darum, Mauern herunter zu brechen. Es geht darum, mit den Leuten zu reden und sie zum Nachdenken zu bringen. Ausserdem hoffe ich, andere Künstlerinnen und Künstler zu inspirieren. Da sind jetzt auch andere Frauen aus meinem Land, die Filme machen wollen.
Was auffällt in Ihrem Film: Die Mädchen müssen den Koran auswendig lernen, ohne dessen Inhalt zu verstehen. Kritisieren Sie den Islam?
Ich kritisiere nicht den Islam als Religion an sich, sondern vielmehr den Umgang mit der Religion, wie die Leute sich gegenseitig gängeln mit Religion, wie sie sich gegenseitig Dinge verbieten. Religion ist eine private Sache. Man sollte sie nicht zu irgendetwas missbrauchen.
In Ihrem Film gibt es keine Gewinner, nur Verlierer – ausgenommen die Kinder am Schluss. Warum wird ein System aufrechterhalten, bei dem alle nur verlieren?
(seufzt) Es ist tatsächlich so, dass oft auch die Männer leiden. Sie werden etwa – genauso wie die Frauen – von ihren Familien unter Druck gesetzt, einen männlichen Nachkommen zu zeugen.
Sie müssen wissen: Unsere Gesellschaft funktioniert über die Familienclans. Wer etwas will, sei das ins Krankenhaus gehen, heiraten oder einen Job erhalten, muss das über seine Familie machen. Das hat einen konservierenden Effekt. Die Gemeinschaft hat ihr Bild über sich und versucht, dieses Bild aufrechtzuerhalten. Es ist sehr schwierig, unter diesen Bedingungen auszubrechen.
Im Schlussbild ihres Films fahren die beiden Kinder mit dem Velo davon. Das Mädchen darf endlich Velo fahren. Was ist ihre Prognose für Frauen und Männer in Saudi-Arabien?
Ich denke, es werden sich weiter kleine Dinge ändern. Dinge, die wichtig sind für das alltägliche Leben der Frauen. In ein paar Jahren werden Frauen hoffentlich ohne Mann eine Firma gründen können. Frauen werden im Land hoffentlich frei herumreisen können. Ich glaube, wenn man Frauen Bildung ermöglicht, was in Saudi-Arabien geschieht, kann man eine weitere Entwicklung kaum aufhalten.
Sendebezug: WEF live, SRF info