Ein Wisch – schon hab ich Telleraugen und einen Blumenkranz auf dem Kopf. Ein paar Klicks – schon strahlt mein Selfie mit der Sonne um die Wette.
Snapchat oder Instagram machen es uns durch integrierte Filter und Bildbearbeitungen einfach, sich in beliebige Versionen unserer Selbst zu verwandeln.
Der Wunsch, wie auf Snapchat auszusehen
Für die meisten sind diese Filter eine harmlose Spielerei. Aber nicht für alle. Immer mehr Menschen wünschen sich, offline so auszusehen wie online.
Schweizer Chirurgen kennen das Phänomen
Auch in der Schweiz ist dieser Trend ein Thema. Laut Werner Mang, Leiter der Bodenseeklinik an der Schweizer Grenze, bringe etwa jeder Zwanzigste ein Selfie oder Promibild aus dem Netz mit.
Und auch Urs Bösch, Leiter einer Luzerner Schönheitsklinik und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie, kennt das Phänomen.
Früher hätten manche Patientinnen und Patienten Fotos von Promis aus einem Magazin zum Beratungstermin mitgebracht – heute immer öfters ein selbst bearbeitetes Selfie.
«Die eine Gruppe unserer Patienten zeigt uns den empfundenen Makel am Spiegel. Die andere Gruppe kommt mit einem Bild, etwa aus einem Magazin oder dem Internet. Und zu dieser Gruppe stossen vermehrt diejenigen, die Selfies mitbringen, welche mit Photoshop oder anderen Bildbearbeitungsprogrammen optimiert sind.»
Auf Einzelheiten eingeschossen
Vor allem bei einer Gruppe ist dieser Trend laut Urs Bösch auffällig: Bei jungen Patientinnen und Patienten, die sich in den sozialen Medien Inspiration suchen und mit wenig Aufwand ihre digitalen Bilder bearbeiten.
So hätte er erst kürzlich einer jungen Frau ihren Wunsch verweigern müssen: «Sie kam mit einem Bild in die Beratung zu einer Nasenplastik, auf dem sie sich eine schmale Nase ins Gesicht hineingesetzt hatte. Diese passte da überhaupt nicht hinein, weil sie völlig unproportional klein war.»
Für den Schönheitschirurg ist klar, dass die Selfiekultur verändert hat, mit welchen Anliegen die Patientinnen und Patienten in die Klinik kommen. So werde etwa immer häufiger die Korrektur eines einzelnen Gesichtsteils gewünscht.
«Es wird viel mehr auf Details geschaut, viele sind fixiert auf einzelne Gesichtsteile. Man findet dort Makel, die man meist nicht zuerst im Spiegel erkannt hat, weil dort das Gesicht eher als Ganzheitliches betrachtet wird, sondern die man auf einem Selfie gesehen und sich dann darauf eingeschossen hat.»
Retouche und Realität verschwimmen
Dass Bilder in sozialen Medien die Art und Weise verändern, wie wir uns selbst sehen, darüber sind sich Experten einig. «Es ist nichts Neues , dass man sich mit Schönheitsidealen vergleicht, etwa aus der Werbung, Kunst oder Magazinen», erklärt Medienwissenschaftlerin Katrin Döveling (siehe Interview-Box am Ende des Artikels).
Heute sehen wir aber auf Schnappschüssen und Selfies viel öfters eine perfektere Version unseres eigenen Gesichts, von Arbeitskolleginnen und Freunden. Und das digitale Foto ist oft das erste Bild ist, das sich andere von uns machen: Sei es nun die neue Arbeitgeberin oder potenzielle Partner.
Snapchat Dysmorphia – ein neues Phänomen
Problematisch daran ist, das betont auch die aktuelle Studie aus den USA: Einigen Menschen fällt es angesichts der vielen und vermeintlich spontan entstandenen Bildern schwerer, zwischen Retouche und Realität zu unterscheiden.
Dafür gibt es bereits einen Begriff: «Snapchat Dysmorphia» – ein Kunstwort aus Snapchat und Dysmorphophobie, einer krankhaft verzerrten Wahrnehmung des eigenen Aussehens.
Laut Urs Bösch hat nur ungefähr jeder Zwanzigste ein gestörtes Selbstbild oder übersteigerte Wünsche. Um das in der Beratung zu erkennen, seien retouchierte Bilder sogar hilfreich:
«Diese mitgebrachten Bilder sind für uns nicht nur negativ. Häufig sind sie zwar, wenn man sie nüchtern betrachtet, sehr extrem. Aber sie dienen uns als Grundlage den Patienten zu zeigen, dass er mit seiner Vorstellung auf dem falschen Weg ist.»
Falsche Bilder kursieren
Radikale Bearbeitungen, etwa mit den Proportionen verzerrenden Snapchat-Filtern, seien aber die Ausnahme. Die meisten Patienten könnten ihre Wünsche gut einordnen – und gerade in Europa seien unauffällige Veränderungen gefragt.
In den sozialen Medien würden sich aber immer mehr Bilder von übertriebenen Eingriffen finden. Patienten und Ärzte teilen ihre Vorher-Nachher-Bilder auf Instagram oder Youtube, lassen sie bewerten oder tauschen sich dort über Eingriffe aus.
«Was mir dabei aufgefallen ist, dass Bilder als gute Resultate gezeigt werden, die unter Fachkollegen eigentlich nicht als schöne Resultate gesehen werden. Etwa Brüste, die zu gross sind, oder Lippen, die übermässig aufgespritzt wurden.»
Realistisch in den Spiegel blicken
Unter Hashtags wie #PlasticSurgery oder #Makeover verbreiten sich also teils falsche Bilder von Schönheitsoperationen. Durch die vielen Fotofilter und Bildbearbeitungen können soziale Medien zudem unrealistische Vorstellungen davon auslösen, was Schönsein heisst.
Doch gerade diese Tatsache hat in den letzten Jahren, in denselben Medien, auch viele Gegenbewegungen hervorgebracht. Etwa Hashtags wie #NoFilter oder #BodyPositivity .
Und beim Blick in den Spiegel? Bleiben wohl die meisten auch realistisch.