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Schönheitsideal Snapchat? Mit dem Selfie in die Schönheitsklinik

Laut einer Studie wollen immer mehr Menschen aussehen wie ihr retouchiertes Selfie – und sind bereit, sich dafür auch unters Messer zu legen. Schönheitschirurgen in der Schweiz kennen dieses Phänomen.

Ein Wisch – schon hab ich Telleraugen und einen Blumenkranz auf dem Kopf. Ein paar Klicks – schon strahlt mein Selfie mit der Sonne um die Wette.

Snapchat oder Instagram machen es uns durch integrierte Filter und Bildbearbeitungen einfach, sich in beliebige Versionen unserer Selbst zu verwandeln.

Der Wunsch, wie auf Snapchat auszusehen

Für die meisten sind diese Filter eine harmlose Spielerei. Aber nicht für alle. Immer mehr Menschen wünschen sich, offline so auszusehen wie online.

Das sagt die Studie: Mehr Schönheits-OPs nach Filter-Vorbild

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Eine junge Frau blickt auf ein Smartphone mit FIlter-Selfie.
Legende: Imago/Reporters
  • «Die bearbeiteten Bilder in den sozialen Medien verändern weltweit, wie wir Schönheit wahrnehmen», schreiben Dermatologinnen der Boston University in ihrer Studie «Selfies – Living in the Era of Filtered Photographs» . Gefilterte und retouchierte Bilder würden immer öfter als Vorlage für Schönheits-OPs herangezogen.
  • Und: Immer mehr wollen ihr Aussehen auf Selfies verbessern. Das ergab u.a. eine Umfrage unter US-Schönheitschirurgen. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) davon gab an, dass sie 2017 solche Anfragen von Patienten erhalten hätten. Ein Jahr zuvor berichtete noch nicht einmal jeder siebte Arzt (13 Prozent) davon.
  • Auch die Art der beliebten Eingriffe habe sich gewandelt. Während Nasenkorrekturen und Botox noch immer die Rangliste anführen, sind Prozeduren am Augenlid ein Newcomer. Und wurden an der Nase früher öfters gebuckelte Rücken korrigiert, wird heute vermehrt die Symmetrie von vorne verbessert.

Schweizer Chirurgen kennen das Phänomen

Auch in der Schweiz ist dieser Trend ein Thema. Laut Werner Mang, Leiter der Bodenseeklinik an der Schweizer Grenze, bringe etwa jeder Zwanzigste ein Selfie oder Promibild aus dem Netz mit.

Und auch Urs Bösch, Leiter einer Luzerner Schönheitsklinik und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie, kennt das Phänomen.

Urs Bösch

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Urs Bösch ist ästhetischer und plastischer Chirurg. Er leitet die Schönheitsklinik Meon in Luzern und ist Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie .

Früher hätten manche Patientinnen und Patienten Fotos von Promis aus einem Magazin zum Beratungstermin mitgebracht – heute immer öfters ein selbst bearbeitetes Selfie.

«Die eine Gruppe unserer Patienten zeigt uns den empfundenen Makel am Spiegel. Die andere Gruppe kommt mit einem Bild, etwa aus einem Magazin oder dem Internet. Und zu dieser Gruppe stossen vermehrt diejenigen, die Selfies mitbringen, welche mit Photoshop oder anderen Bildbearbeitungsprogrammen optimiert sind.»

Auf Einzelheiten eingeschossen

Vor allem bei einer Gruppe ist dieser Trend laut Urs Bösch auffällig: Bei jungen Patientinnen und Patienten, die sich in den sozialen Medien Inspiration suchen und mit wenig Aufwand ihre digitalen Bilder bearbeiten.

Sechs Bilder von Frauen, die ihre Gesichter mit FIlter bearbeitet haben.
Legende: Mit wenigen Klicks zum neuen Look: Auf Instagram finden sich unzählige Filter-Bilder. Screenshot Instagram

So hätte er erst kürzlich einer jungen Frau ihren Wunsch verweigern müssen: «Sie kam mit einem Bild in die Beratung zu einer Nasenplastik, auf dem sie sich eine schmale Nase ins Gesicht hineingesetzt hatte. Diese passte da überhaupt nicht hinein, weil sie völlig unproportional klein war.»

Ästhetische Chirurgie ist bei Jugendlichen ein Thema

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Die britische #StatusofMind-Studie 2018 untersuchte den Social-Media-Gebrauch und die psychische Gesundheit von 1'500 Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren.

Demnach hat besonders Instagram einen negativen Einfluss auf Körper- und Selbstbild. Gerade junge Frauen würden sich oft mit bearbeiteten Bildern von sich selbst vergleichen.

Und: Rund 70 Prozent der 18- bis 24-Jährigen würden einen chirurgischen Eingriff in Betracht ziehen, um ihr Aussehen zu verändern.

Für den Schönheitschirurg ist klar, dass die Selfiekultur verändert hat, mit welchen Anliegen die Patientinnen und Patienten in die Klinik kommen. So werde etwa immer häufiger die Korrektur eines einzelnen Gesichtsteils gewünscht.

«Es wird viel mehr auf Details geschaut, viele sind fixiert auf einzelne Gesichtsteile. Man findet dort Makel, die man meist nicht zuerst im Spiegel erkannt hat, weil dort das Gesicht eher als Ganzheitliches betrachtet wird, sondern die man auf einem Selfie gesehen und sich dann darauf eingeschossen hat.»

Retouche und Realität verschwimmen

Dass Bilder in sozialen Medien die Art und Weise verändern, wie wir uns selbst sehen, darüber sind sich Experten einig. «Es ist nichts Neues , dass man sich mit Schönheitsidealen vergleicht, etwa aus der Werbung, Kunst oder Magazinen», erklärt Medienwissenschaftlerin Katrin Döveling (siehe Interview-Box am Ende des Artikels).

Eine Frau, der eine Gesichtshälfte natürlich, die andere retouchiert ist.
Legende: Sich selbst «aufzuhübschen» ist keine Hexerei. Bei manchen Menschen verzerrt das aber das Selbstbild. Getty Images/ svetikd

Heute sehen wir aber auf Schnappschüssen und Selfies viel öfters eine perfektere Version unseres eigenen Gesichts, von Arbeitskolleginnen und Freunden. Und das digitale Foto ist oft das erste Bild ist, das sich andere von uns machen: Sei es nun die neue Arbeitgeberin oder potenzielle Partner.

Snapchat Dysmorphia – ein neues Phänomen

Problematisch daran ist, das betont auch die aktuelle Studie aus den USA: Einigen Menschen fällt es angesichts der vielen und vermeintlich spontan entstandenen Bildern schwerer, zwischen Retouche und Realität zu unterscheiden.

Dafür gibt es bereits einen Begriff: «Snapchat Dysmorphia» – ein Kunstwort aus Snapchat und Dysmorphophobie, einer krankhaft verzerrten Wahrnehmung des eigenen Aussehens.

Was heisst «Dysmorphia»?

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Dysmorphia oder Body Dysmorphic Disorder (auf Deutsch Dysmorphophobie) ist eine Störung in der Wahrnehmung des eigenen Körpers und Aussehens.

Betroffene sind der wahnhaften Überzeugung, dass einzelne Teile ihres Körpers, etwa das Gesicht, hässlich oder missgeformt sind. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Gründe dafür ebenso durch die Gene wie durch die Gesellschaft geprägt sind.

Laut Urs Bösch hat nur ungefähr jeder Zwanzigste ein gestörtes Selbstbild oder übersteigerte Wünsche. Um das in der Beratung zu erkennen, seien retouchierte Bilder sogar hilfreich:

«Diese mitgebrachten Bilder sind für uns nicht nur negativ. Häufig sind sie zwar, wenn man sie nüchtern betrachtet, sehr extrem. Aber sie dienen uns als Grundlage den Patienten zu zeigen, dass er mit seiner Vorstellung auf dem falschen Weg ist.»

Falsche Bilder kursieren

Radikale Bearbeitungen, etwa mit den Proportionen verzerrenden Snapchat-Filtern, seien aber die Ausnahme. Die meisten Patienten könnten ihre Wünsche gut einordnen – und gerade in Europa seien unauffällige Veränderungen gefragt.

In den sozialen Medien würden sich aber immer mehr Bilder von übertriebenen Eingriffen finden. Patienten und Ärzte teilen ihre Vorher-Nachher-Bilder auf Instagram oder Youtube, lassen sie bewerten oder tauschen sich dort über Eingriffe aus.

«Was mir dabei aufgefallen ist, dass Bilder als gute Resultate gezeigt werden, die unter Fachkollegen eigentlich nicht als schöne Resultate gesehen werden. Etwa Brüste, die zu gross sind, oder Lippen, die übermässig aufgespritzt wurden.»

Problematische Apps: Wenn Kindern sich eine Prinzessin schnippeln

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Legende: Anybody UK

Immer wieder kritisiert werden Schönheitschirurgie-Apps für Kinder. Aktuell läuft unter dem Hashtag #SurgeryIsNotAGame eine Petition dagegen. Bei Gratisspielen wie «Beauty Clinic Plastic Surgery» müssen Cartoon-Charaktere etwa durch Nasen-OP oder Fettabsaugen aufgehübscht werden.

Realistisch in den Spiegel blicken

Unter Hashtags wie #PlasticSurgery oder #Makeover verbreiten sich also teils falsche Bilder von Schönheitsoperationen. Durch die vielen Fotofilter und Bildbearbeitungen können soziale Medien zudem unrealistische Vorstellungen davon auslösen, was Schönsein heisst.

Doch gerade diese Tatsache hat in den letzten Jahren, in denselben Medien, auch viele Gegenbewegungen hervorgebracht. Etwa Hashtags wie #NoFilter oder #BodyPositivity .

Und beim Blick in den Spiegel? Bleiben wohl die meisten auch realistisch.

«Retouchierte Bilder wirken nicht auf alle gleich»

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Katrin Döveling, Schwarz-Weiss-Porträt.
Legende: zVg

Katrin Döveling ist Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Alpen Adria Universität in Klagenfurt. Sie befasst sich u.a. mit dem Einfluss von sozialen Medien wie Instagram auf Schönheitsideal und Selbstwert.

SRF: Wie stark verändert Social Media unser Schönheitsideal?

Katrin Döveling: Unsere Vorstellungen von Schönheit haben sich in den letzten 20 Jahren nicht wahnsinnig verändert. Frauen haben etwa immer den Druck verspürt, schlank zu sein. Solche Schönheitsideale finden wir auch in der Kunst, in der Werbung, im Fernsehen.

Es ist also nichts Neues, dass es sie gibt und wir uns mit ihnen vergleichen. Dieser soziale Vergleich mit anderen ist grundsätzlich auch wichtig, weil er der sozialen Stabilisierung und Verortung dient. Aber durch die Digitalisierung nimmt der Einfluss unrealistischer Bilder zu.

Inwiefern nimmt die Wirkung solcher Bilder zu?

Was die sozialen Medien so mächtig macht, ist, dass wir mehrmals täglich idealisierte Bilder sehen. Das ist nicht vergleichbar damit, wenn wir einmal an einer Werbesäule oder H&M-Filiale vorbeigehen oder eine Zeitung aufschlagen. Social Media trägt die perfekten Bilder quasi in unser Wohnzimmer, viele junge Frauen sehen sie 30-, 40-mal täglich oder noch mehr.

Dieser Wiederholungseffekt und das permanente Onlinesein hat extremes Wirkungspotenzial. Es gibt uns überdies das Gefühl, hier etwa Tatsächliches mitzuerleben. Es sind aber Inszenierungen.

Welche Rolle spielen dabei gefilterte oder retouchierte Fotos?

Diese Bilder wirken nicht auf alle gleich. Aber Menschen, vor allem junge Frauen, die bezüglich ihres Aussehens unsicher sind, erhalten das Gefühl, dieses Ideal nie erreichen zu können.

Bei einer Studie in Klagenfurt haben wir kürzlich getestet, inwiefern Testpersonen retouchierte Bilder erkennen. Viele haben das nicht erkannt. Fotos lassen sich durch wenige Klicks und innerhalb von Sekunden verändern, man braucht dafür kein Experte zu sein. Und in den sozialen Medien nutzen die meisten diese Möglichkeiten auch.

Seien es nur die Urlaubsfoto: Diese Selbstverständlichkeit, mit der wir mit Bildbearbeitungen hantieren, setzt eine Art Spiralbewegung in Gang. Gerade junge Frauen sind kaum je zufrieden mit ihrem Foto, sondern verwenden sofort Filter, machen etwa das Gesicht schmaler oder die Augen grösser.

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