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Vor der Geburt: 9 Monate zwischen Vorsicht und Zuversicht
Aus Kontext vom 21.03.2019. Bild: imago/PotoAlto
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Schwangerschaft «Zuversicht ist der bessere Ratgeber als übertriebene Vorsicht»

Mache ich wirklich alles richtig? Die Zeit der Schwangerschaft ist oft von Ängsten geprägt. Die Sorge um das Ungeborene ist nicht neu, sagt Historikerin Caroline Arni. Ein Gespräch über historische Vorstellungen, Verantwortung und Zuversicht in der Schwangerschaft.

SRF: Letztens war ich in einer Buchhandlung. Da wimmelte es von Ratgebern zur Schwangerschaft. Ist die Sorge um das Ungeborene ein neues Phänomen?

Caroline Arni: Nein, das nicht. Typisch für heute ist aber der Fokus auf das Risiko. Das Reden über Schwangerschaft ist einseitig. Es geht vor allem um die Vermeidung jedes Risikos.

Caroline Arni

Historikerin

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Caroline Arni forscht und lehrt in Sozial- und Kulturgeschichte, Historischer Anthropologie, Wissenschaftsgeschichte, Geschlechtergeschichte und feministischer Geschichtswissenschaft sowie Schweizer Geschichte. Sie ist unter anderem Autorin der beiden Monographien «Pränatale Zeiten. Das Ungeborene und die Humanwissenschaften (1800-1950)» (Schwabe Berlin, 2018).

Aber es ist doch gut, die Risiken zu kennen?

Klar, dagegen ist nichts einzuwenden. Aber zurzeit wird Schwangerschaft häufig nur noch unter dem Aspekt der «Gefährdung» besprochen. Die Angst, etwas falsch zu machen, monopolisiert die Erfahrung der schwangeren Frau. Das ist ein Problem.

Warum?

Das ständige Reden über Risiken kann verunsichern. In vielen Ratgebern schwingt implizit oder explizit die Vorstellung mit, dass alles, was die Frau während der Schwangerschaft tut oder lässt, einen unmittelbaren Einfluss auf die künftige Biografie des Kindes hat.

So schwebt ständig ein Damoklesschwert über der Schwangerschaft. Die Zukunft verschattet die Gegenwart. Typisches Beispiel ist die Frage nach dem Einfluss von Stress während der Schwangerschaft auf das ungeborene Kind.

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Was sagt mir mein Bauch?
aus Kontext vom 21.03.2019. Bild: imago/epd
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Stress schadet, oder?

Jein. Es gibt Studien, die diesen Schluss nahelegen. Andere Studien kommen zu einem gegenteiligen Ergebnis: Ein gewisses Mass an Stress könne demnach auch die Resilienz, die Widerstandsfähigkeit des Kindes stärken. Kurz: Wie man es dreht und wendet – die Frau kann es letztlich nur falsch machen.

Eine schwangere Frau hält ihren Bauch. Ihr Partner hält ihren Arm.
Legende: Stress vor dem Stress? Was die werdende Mutter fühlt, wirkt sich auf das Kind aus. Oder doch nicht? Getty Images / Jessica Lee Photography

Als Historikerin interessieren mich aber weniger die Resultate solcher Studien, dafür bin ich nicht die Fachperson. Ich beschäftige mich in meiner Forschung damit, welche Denktradition hinter solchen Fragestellungen stecken und wie sie sich historisch verändert haben.

Wie alt ist die Vorstellung, dass Schwangerschaft eine prägende Kraft sei, einen Einfluss auf das Ungeborene habe?

Uralt. Schon in der Antike gab es die so genannte «Impressionslehre». Dahinter steckte die Vorstellung, dass die visuellen Eindrücke der Frau die embryonale Gestalt zu prägen vermögen, indem sie sich im Ungeborenen abbilden.

Man empfahl beispielsweise schwangeren Frauen, schöne Statuen anzuschauen, dann würden die Kinder ebenfalls schön. Der visuelle Eindruck der Mutter hinterlasse einen Abdruck in der Gestalt des Kindes. Noch im 17. Jahrhundert ist diese Vorstellung populär.

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Ängste in der Schwangerschaft: Historischer Rückblick
Aus Kultur Webvideos vom 21.04.2019.
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Die Impressionslehre macht in den Köpfen der Zeitgenossen durchaus Sinn. Die Medizin geht davon aus, dass Mutter und Embryo ein Organismus seien, sodass die visuellen Eindrücke der Frau durch ihren Körper wandern und sich auf das Ungeborene übertragen können.

Im 18. Jahrhundert kann ein Mediziner dann nachweisen, dass Mutter und Embryo zwei getrennte Organismen sind. Die Erklärung der Impressionslehre macht keinen Sinn mehr.

Man sucht also eine neue Erklärung?

Genau. Die Vorstellung, dass das Mentale der Frau auf den Fötus einwirke und präge, verschwindet nicht. Sie wird aber in neuen Begriffen formuliert.

Und zwar?

Jetzt argumentierten Mediziner mit den Gefühlen der Schwangeren: Schaue sie sich eine schöne Statue an, dann übertrage sich zwar nicht das Bild auf das Ungeborene im Sinne einer Abbildung, aber der Anblick einer schönen Statue versetze die Mutter in einen Gefühlszustand der Ruhe und Heiterkeit. Diese Gefühle übertragen sich sehr wohl auf das Kind und prägen es.

Während in der Antike also mit dem Einfluss des visuellen Eindrucks, des gesehenen Bildes, argumentiert wurde, ist es im 18., 19. Jahrhundert der Einfluss der Gefühle. Und im 20. Jahrhundert?

Da entdeckt die Medizin, dass Gefühle hormonell codiert sind. Nun untersucht man, welchen Einfluss beispielsweise Stresshormone auf die Schwangerschaft haben.

Und jetzt – im 21. Jahrhundert – geht man davon aus, dass gewisse Einflüsse sogar Modifikationen in der fötalen DNA verursachen, womit die Effekte vererbbar werden. Damit wird die Lebensführung der Schwangeren plötzlich in transgenerationeller Hinsicht problematisch.

Ziemlich viel Verantwortung für die Schwangere.

Genau. Die Frau wird auch entsprechend adressiert: «Pass auf!» Alles muss lupenrein sein! Die ganze Verantwortung wird der Frau zugeschoben. Sie hat ihre Lebensführung einer angeblich optimierungsbedürftigen Biografie des Ungeborenen zu verpflichten.

Eine Schwangere mit ihrem Partner. Er hält ihren Bauch.
Legende: Grosse Freude! Grosse Bürde? Schwangere sollten auf ihren Partner und ihr Umfeld zählen können. ASIFE / photocase.de

Dabei wird ausgeblendet, dass eine Schwangere ja in einer Gesellschaft lebt, die eine Mitverantwortung trägt. Dass da noch ein Elternteil ist, der ebenfalls Verantwortung übernehmen sollte. Wenn die Schwangere schon für alles verantwortlich gemacht wird, dann stünde ihr auch mehr Unterstützung zu.

Was wünschen Sie sich punkto Reden über Schwangerschaft?

Eine grössere Vielfalt, nicht nur alarmistische Töne. In der Forschung gibt es ja auch Gegensteuer zum Schreckensgespenst der irreversiblen Folgen. Stichwort Plastizität: Gerade das Hirn bleibt beim Menschen veränderbar, formbar. Und zwar ein Leben lang.

Ein Kind bekommen bedeutet letztlich ja nichts anderes als ein grosser Schritt ins grosse Ungewisse. Da ist Zuversicht vielleicht der bessere Ratgeber als übertriebene Vorsicht.

Das Gespräch führte Anna Jungen.

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