«Wachsen und werden»: In einem Zürcher Yoga-Kurs sitzen ein halbes Dutzend schwangerer Frauen entspannt auf ihren Matten. Das Licht ist gedämpft, es riecht nach zarten Düften.
Die Bäuche sind unterschiedlich gross. Doch die Frauen strahlen alle auf dieselbe fast magische Weise. Ob sie so selbstsicher und geerdet wirken, weil sie gerade 90 Minuten in sich hineingehorcht, ihren Körper wahrgenommen und mit ihrem Baby in Kontakt getreten sind, lässt sich nicht feststellen.
Trotz grosser Gelassenheit – auch Ängste und Unsicherheiten sind im Raum. Sie gehören dazu. Sie sind Teil des Prozesses.
«Die Hebammen sollen ihr Ding machen»
Die 33-jährige Audrey erwartet ihr zweites Kind. Sie wollte bereits in der ersten Schwangerschaft alles über die bevorstehenden neun Monate und die Geburt aktiv in Erfahrung bringen. «Die Hebammen sollen ihr Ding machen, die Ärzte brauchen nicht einzugreifen», sagt Audrey im Yoga-Kurs in Zürich.
Auch das zweite Kind soll auf natürlichem Weg in einem Spital zur Welt kommen. Das gute medizinische Umfeld der Geburtsklinik gibt der Bankkauffrau ein sicheres Gefühl.
Genauso wichtig ist für Audrey, sich selbst vertrauen zu können. «Ich weiss, dass ich das durchziehen kann. Meine Urgrossmutter hat 14 Kinder mehr oder weniger allein auf die Welt gestellt, dann werde ich eins oder zwei auch schaffen», sagt Audrey und lacht.
Selbstvertrauen gibt Sicherhei t
Auf sich selbst zu hören: Das ist für die Hebamme Marianne Haueter die beste Devise für eine Schwangere.
«Das Ziel muss sein, dass schwangere Frauen Vertrauen in sich selbst und ihre wichtigsten Begleitpersonen aufbauen», sagt Haueter. Denn jede Frau in Erwartung sei heute umzingelt von Ratgeberliteratur, Vorbereitungskursen, Tipps und auch unerbetenen Kommentaren.
Diese Erfahrung macht derzeit auch Samira, die mit ihrem ersten Kind schwanger ist. «Manchmal nerven mich spontane Äusserungen zu meinem Bauch», sagt die 31-jährige Theaterschaffende. «Trotzdem liess ich mich so sehr verunsichern, dass mein Partner den Gynäkologen fragen musste, ob die Grösse meines Bauches etwas über die Grösse des Babys aussagt».
Das sei nicht der Fall, wurde ihr versichert. «Heute entgegne ich, ich sei eben nicht fett, wenn jemand meint, mein Bauch wäre zu klein.» Samira vertraut ihrem Gynäkologen, ihrem Partner und schätzt den Austausch mit anderen Schwangeren im Yoga-Kurs.
Die Angst gehört dazu
Die 33-jährige Theodora – auch sie haben wir in dem Yoga-Kurs in Zürich getroffen – wird immer wieder mit Horrorgeschichten von traumatischen Schwangerschafts- und Geburtserlebnissen konfrontiert. Geschichten, die sie gar nicht hören will und von denen sie sich nur schwer distanzieren kann.
Erstaunlich sei, dass solche Horrorgeschichten häufig von Frauen weitergereicht werden, die selbst geboren haben, sagt der Basler Gynäkologe Klaus Hildebrand. «Es gehört zu unserem Beruf, Unsicherheiten und Ängste abbauen zu helfen.» Die Angst gehöre zum «daily business».
Deshalb sei es wichtig, dass die Schwangeren ihre Ängste auch kommunizieren. Mit den richtigen Informationen könne ein grosser Teil der Ängste ausgeräumt werden. Dabei kommt dem Partner eine immer wichtigere Rolle zu.
Die Rolle der werdenden Väter
Diesen Eindruck teilt Beate Westdickenberg, die in Zürich den Vorbereitungskurs «wachsen und werden» leitet. Neben den Yogakursen bietet sie seit vielen Jahren auch Kurse für Paare an. Gerade Kurse für das Tragen des Babys im Tragetuch erfreuten sich grosser Nachfrage bei den werdenden Vätern.
«Die heutigen Männer wollen mitreden. Es ist ihr Baby, das da heranwächst. Sie wollen Verantwortung mittragen», sagt Beate Westdickenberg. Für viele ihrer Kursbesucherinnen ist der eigene Partner erklärtermassen der wichtigste Faktor einer optimalen Vorbereitung auf die Geburt.
Auch für Theodora. «Dazu kommt der Fakt, dass die medizinischen Bedingungen und was man alles beanspruchen kann als Gebärende wohl nie besser gewesen sind», sagt sie. Hätte man Theodora vor zwei Jahren gefragt, sie hätte sich eine spontane Geburt nie zugetraut.
«Ich wusste nicht, wie es um meine Schmerztoleranz steht und ein Kaiserschnitt schien mir so einfach!» Theodora hat sich intensiv mit Hypno-Birthing beschäftigt und das Bewusstsein und das Selbstvertrauen gewonnen, dass ihr Körper zu einer natürlichen Geburt ausgestattet und fähig ist. «Das steckt wohl in unserer Genetik, dass wir das durchstehen können.»
Kaiserschnitt – ein Routineeingriff?
In der Schweiz hat sich die Kaiserschnittrate in den letzten 30 Jahren auf 32 Prozent verdoppelt. Wobei es regional grosse Schwankungen gibt. Da liegt die Vermutung nahe, dass der Kaiserschnitt als ursprüngliche Notoperation zum Routineeingriff geworden ist.
«Dafür gibt es gewiss nicht nur medizinische Gründe», meint Marianne Haueter. Die Gründe sind strukturell, organisatorisch und haben mit der Ökonomie der Geburtshilfe zu tun. In der Schweiz würden viele Daten dazu erhoben, doch wären die Analysen oft nicht aussagekräftig oder fehlten gänzlich.
«Einfach gesagt ist eine natürliche Geburt finanziell günstig. Andererseits ist sie schwer zu planen. Ein Kaiserschnitt dauert rund eine halbe Stunde. Eine natürliche Geburt kann schnell zwölf Stunden dauern oder länger», sagt Marianne Haueter.
«Die Frauen brauchen mehr Zeit»
Dieses lineare Zeitverständnis, so Marianne Haueter, sei auch in der Geburtshilfe normiert. «Man weiss, wie lange eine Geburt dauern sollte, aber die Biologie hält sich nicht daran. Es gibt immer Abweichungen.
«Die Frauen brauchen mehr Zeit für die Geburt», betont die erfahrene Hebamme. «Wir haben heute eine Betreuungssituation, in der eine Hebamme in einer Klinik schnell mal drei oder vier Frauen gleichzeitig betreut.» Das sei sicher nicht, was die Gebärenden benötigten.
Die Ansicht, dass nackte Kaiserschnittraten wenig aussagen, teilt der Belegarzt und Gynäkologe Klaus Hildebrand. «Es ist auch ein kulturelles Phänomen. In der Westschweiz werden deutlich weniger Kaiserschnitte gemacht als in der Nordwestschweiz und im Grossraum Zürich, wo die Rate am höchsten ist».
Dafür gibt es nicht nur finanzielle Gründe. Die bislang dünne Faktenlage aufzuarbeiten sei aufwendig und gerade in den Privatkliniken fehlten dazu die Mittel.
Selbstoptimierung im Babybauch
Die Risikokalkulation ist heute in der Geburtshilfe allgegenwärtig. Von Risikoschwangerschaften spricht die Medizin bei Frauen ab dem Alter von 35 Jahren.
«Der Frauenkörper ist behandlungsbedürftiger geworden», sagt Marianne Haueter. Deshalb sei es in ihrer Arbeit wichtig, die gesunden Anteile zu betonen. Man nennt das den salutogenetischen Blick auf Gesundheit.
Ein grosser Teil der Risiko-Fokussierung werde in der Gesellschaft selbst generiert, meint Klaus Hildebrand. Der Trend der Selbstoptimierung mache vor den Ungeborenen nicht Halt – zumal das Durchschnittsalter der schwangeren Frauen erhöht sei.
«Es hat sich eine Grundhaltung eingestellt, die wir vor 30 Jahren so nicht hatten. Man möchte jegliche Schädigung von Mutter und Kind von Anfang an verhindern. Heute wird eher eine vorsichtigere Medizin betrieben, auch weil die juristischen Aspekte eine grössere Rolle spielen», sagt Klaus Hildebrand.
Es muss passen
Bei aller Vorsicht lassen sich gewisse Komplikationen weder verhindern noch ausschliessen. Diese Erfahrung hat Sabrina gemacht, als sie ihr erstes Kind durch eine Fehlgeburt verlor.
Sie arbeitet selbst in einer gynäkologischen Praxis. «Ich sehe in meinem Alltag, wie häufig Fehlgeburten sind. Es ist jedes Mal ein grosses Drama und ein riesiger Verlust. Ich glaube aber daran, dass die Natur weiss, warum sie das macht», sagt Sabrina.
Welche Geburt also die richtige ist, darüber entscheiden viele Faktoren. Aufklärung und Information durch die Geburtshelfenden sind das eine. Selbstvertrauen und Zuversicht der Schwangeren das andere.
«Es geht nicht darum, dass die Geburt dem Arzt oder der Hebamme passt, sondern sie muss für die Frau passen», bringt es Marianne Haueter auf den Punkt.