Wladimir Putin droht im Ukrainekrieg offen mit Atomwaffen. Das sei kein Bluff, betonte er kürzlich. Ob Bluff oder nicht: Die «Atom-Angst» ist für viele Menschen so real wie lange nicht mehr. Die Psychologin und Psychotherapeutin Jacqueline Frossard erläutert Strategien zur Angstbewältigung.
SRF: Stellen Sie aufgrund Putins Drohungen eine Art kollektive Angst fest?
Jacqueline Frossard : Ja, durchaus. Man kann eine Art kollektive Ohnmacht und Wut gegenüber der Person, die über eine potenzielle Katastrophe entscheidet, feststellen. Und man erkennt auch Angst, etwa die Angst vor einer nicht bewältigbaren Situation. Insbesondere aber auch die Angst vor der Unkontrollierbarkeit nuklearer Strahlen.
Wir können als Einzelne nur wenig unternehmen. Macht das die Angst nicht noch viel schlimmer?
Oftmals ist die Angst vor einer Situation belastender als die Situation selbst, weil mal in der realen Situation etwas tun kann. Angstgefühle, bevor die Situation eintritt – von der man nicht mal weiss, ob sie eintreten wird – sind hingegen lähmend.
Angst hat die Aufgabe, uns vorzubereiten.
Wie kann man diese lähmende Angst mildern?
Man kann sich informieren: über die Luftschutzkeller oder über die Empfehlungen, die abgegeben werden. Wichtig ist, dass man sich über seriöse Quellen informiert, auch im Hinblick darauf, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine nukleare Katastrophe eintritt.
Man sollte Bescheid wissen, wo etwas passieren könnte, was passieren könnte und welche Folgen das nach sich ziehen würde. Dann kann man sich entsprechend vorbereiten. Angst hat die Aufgabe, uns vorzubereiten.
Kann man sich auch zu viel mit der «Atom-Angst» beschäftigen?
Ja, absolut. Das ist dann der Fall, wenn die Ängste überhandnehmen, und ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen. Wenn sie uns also nicht mehr auf schwierige Situationen vorbereiten, sondern uns im Alltag lähmen und belasten. Dann müssen wir uns mit der Angst auseinandersetzen und Wege finden, um diese wieder zu reduzieren.
Gefühle sind Anarchisten: Die kommen einfach und fragen nicht lange nach, ob sie sinnvoll sind.
Das kann beispielsweise das Gespräch mit anderen sein, die vielleicht ähnliche Befürchtungen haben. Für andere ist es gut, sich abzulenken. Oder man überlegt sich, wie man in der Vergangenheit mit solchen Situationen umgegangen ist.
Ich persönlich empfinde auch Trotz. Man sollte Putin nicht den Gefallen tun und zu viel Angst haben.
Das Schwierige an der Situation ist, dass diese Angst genau sein Ziel ist. Es ist eine psychologische Kriegsmethode, Angst im Gegenüber auszulösen.
Wenn wir uns zu sehr von dieser Angst leiten lassen, hat Putin sein Ziel erreicht. Und da stellt sich schon die Frage: Wollen wir Putin diese Macht geben?
Dieser Gedanke kann die Angst natürlich nicht verhindern. Gefühle sind Anarchisten: Die kommen einfach und fragen nicht lange nach, ob sie sinnvoll sind. Aber wichtig ist, dass wir unser Verhalten nicht zu sehr anhand dieser Angst ausrichten.
Das Gespräch führte Remo Vitelli.