Gegen aussen gibt sich der neue Machthaber in Syrien offen. Ahmad al-Sharaa verspricht, alle Syrerinnen und Syrer am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Er hat alle Minderheiten zu einer nationalen Dialogkonferenz eingeladen und eine Frau zur Chefin der Nationalbank gemacht. Eine weitere regiert als Gouverneurin in der Provinz Suwaida.
Unterstützung aus Europa ist gefragt
Doch es gibt auch die anderen Entwicklungen: Ein neuer Lehrplan, aus dem die Evolutionstheorie verschwunden ist, der dann aber angeblich wieder zurückgezogen wurde. Beim Besuch der deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock vermied Ahmad al-Sharaa den Handschlag. Nun sind Bilder aufgetaucht, auf denen die Frauen verpixelt wurden – verbreitet durch den Telegram-Kanal eines extremen Flügels der HTS-Miliz.
Die Frage stellt sich also: Wie umgehen mit den neuen syrischen Machthabern, die Wurzeln im radikalen Islamismus haben? Für Monika Bolliger, Produzentin beim «Echo der Zeit» und Kennerin der Region, ist klar: «Europa sollte im Austausch mit der neuen Regierung bleiben und zugleich die Zivilgesellschaft unterstützen.»
Nicht jede Hilfe ist willkommen
Monika Bolliger ist gerade von einer Reportagereise aus Syrien zurückgekehrt und hat dort Frauen getroffen, die offen und lautstark ihre Rechte einfordern. Doch der Westen sollte sich hüten, nur Frauenrechte einzufordern, warnt Bolliger: «Wenn sich westliche Regierungsvertreter selektiv für Frauenrechte aussprechen, kann das auch zu einer Gegenreaktion führen. Im Sinne von: Wir lassen uns vom Westen nichts vorschreiben.»
Auch europäische Forderungen, Minderheiten zu schützen, kommen in Syrien nicht nur gut an: «Viele empfinden das als neokolonial», sagt Monika Bolliger. «Früher haben sich die Europäer oft unter dem Vorwand, Minderheiten in Schutz zu nehmen, Einfluss in der Region gesichert. Wünschenswert wäre eine Haltung, die für die Sicherheit und Würde aller Menschen in Syrien einsteht.»
Beteiligung Europas am Wiederaufbau?
Doch gibt es überhaupt eine Zivilgesellschaft, die den Wiederaufbau stemmen und die Rechte einfordern kann? Ja, sagt Monika Bolliger. Zwar habe das Assad-Regime jahrzehntelang jegliche Opposition brutal unterdrückt, doch während des arabischen Frühlings seien zivilgesellschaftliche Initiativen entstanden, auf die man aufbauen könne.
Und was wünschen sich die Syrerinnen und Syrer selbst? «Man wünscht sich Hilfe, um die Wirtschaft wieder aufzubauen, Investitionen und die Aufhebung der westlichen Sanktionen», so Bolliger. Unterstützung im politischen Übergangsprozess sei ebenfalls willkommen, «allerdings nicht von oben herab, sondern mit Anreizen und dem richtigen Druck, damit alle Teile der Gesellschaft einbezogen werden.»
Sanktionen aufheben, genau hinschauen und die Zivilgesellschaft dabei unterstützen, Syrien nach ihrer eigenen Vorstellungen aufzubauen: das können europäische Staaten tun, um den Syrerinnen und Syrern beim Wiederaufbau ihres Landes zu helfen.