Seit anderthalb Jahren ist der Luzerner Lehrstuhl für Judaistik verwaist. Die Wiederbesetzung verläuft schleppend. Das ruft die Abschiedsvorlesung der emeritierten Institutsleiterin Verena Lenzen in Erinnerung: «Wo immer sich heute – in einer Zeit wachsenden Antisemitismus – Tendenzen abzeichnen, das Fach Judaistik einzuschränken oder abzuschaffen, muss man sich mit der Frage eines wissenschaftlichen Antijudaismus konfrontiert sehen.»
Zeugt die aktuelle Stellenausschreibung der Uni Luzern von wissenschaftlichem Antijudaismus? Denn genau dagegen wurde das Institut vor gut 40 Jahren gegründet. Es blieb einmalig im deutschsprachigen Raum, weil jüdische Studien hier für römisch-katholische Theologiestudierende obligatorisch sind.
Angehende Priester und Gemeindeleiterinnen lernen hier, Jesus als Juden zu verstehen und nicht mehr antijüdisch zu predigen. Ein Epochenwechsel.
Ein Dilemma
Aber: Weil die Professur als theologische eingestuft wird, darf sie auch nur eine römisch-katholische Lehrperson ausfüllen, die von der Kirche anerkannt ist. So kommt es zum Dilemma, wie auch die aktuelle Dekanin der Fakultät, Margit Wasmeier-Sailer, zugibt.
Sie bedauert allfällige Irritationen, erklärt aber, dass jüdische Studien hier im Kontext katholischer Theologie gelehrt würden. Es gehe um einen christlichen Beitrag im Dialog mit Jüdinnen und Juden, so Wasmeier-Sailer.
Für den Lehrstuhl ist also eine kirchliche Lehrerlaubnis erforderlich, das «Nihil Obstat» muss Ortsbischof Felix Gmür erteilen. Auch er betont, dass es hier um einen theologischen Lehrstuhl gehe, der mit dem römisch-katholischen Lehramt in Einklang stehen müsse.
Kein Kommentar des Kardinals
Jedoch: Jüdischen Studien sind keine «theologische Hilfswissenschaft» mehr. Unter Verena Lenzen wurde das Institut für jüdisch-christliche Forschung kulturwissenschaftlich ausgerichtet. Auch viele Nicht-Theologinnen belegen hier jüdische Studien.
Die Publikationen des Instituts zu jüdischer Geschichte und Literatur brachten ihm Renommee, was prominente Gastdozierende anzog – zuletzt das Ehepaar Jan und Aleida Assmann.
Zwei jüdische Dozenten am Institut wollten sich nicht äussern. Auch der Schweizer Kardinal in Rom, Kurt Koch, will sich auf Anfrage nicht einmischen in Uni-Interna. Er schätzt die Leistungen des Instituts und sprach sogar an dessen Jubiläum.
Nicht mehr zeitgemäss
Die Dekanin beruft sich auf kirchliches und kantonales Recht: Die Universität verlange neben der Habilitation das kirchlich anerkannte, sogenannt «kanonische» Doktorat. Das schliesst automatisch alle nicht-römisch-katholischen Gelehrten aus, auch reformierte und säkulare.
Doch eine staatliche Universität kann heute nicht mehr an der Kritik der Öffentlichkeit vorbei agieren. Diese hinterfragt, ob Berufungen von Bischofs Gnaden noch zeitgemäss sind und ob gar ein Fall von Diskriminierung vorliegt.
Die Uni Luzern verpflichtet sich zu Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung. Andere theologischen Fakultäten – etwa die reformiert geprägten Bern und Basel – haben jüdische Professoren.
Dass auch in Luzern eine Erweiterung des Fachs Judaistik ausserhalb der Theologie wünschenswert wäre, betont selbst Dekanin Wasmeier-Sailer. Sie würde es sehr begrüssen, wenn die Uni Luzern die Judaistik breiter aufstellen könne, erklärt sie.