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Unterwegs zur Stille: Vipassana-Retreat auf dem Beatenberg
Aus Perspektiven vom 03.08.2024. Bild: Fred von Allmen
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Stille-Meditation Schweigen für die Seele: zu Besuch im Vipassana-Retreat

Wer Vipassana-Retreats macht, schweigt für mehrere Tage. In der Stille sollen die Dinge bewusster wahrgenommen und erkannt werden. Das könne helfen, im Alltag befreiter zu leben. Ein Besuch bei Fred von Allmen im Meditationszentrum Beatenberg.

Während drei Tagen bis zwei Wochen ziehen sich Menschen aus dem Alltag zurück, folgen einem klaren Tagesablauf und meditieren viele Stunden pro Tag. Im Berner Oberland auf dem Beatenberg bieten Lehrende wie Fred von Allmen sogenannte Vipassana-Retreats an. «Die unnatürliche Situation der Stille und die Struktur helfen, dass sich unser Geist wirklich mit sich selbst auseinandersetzen kann und weniger Fluchtwege hat», erklärt der Meditationslehrer.

Fred von Allmen

Dharma-Lehrer

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Der Berner Fred von Allmen kam 1943 zur Welt. Nach zehn Jahren als freischaffender Fotograf und Künstler begann er zu meditieren, studierte buddhistische Psychologie und Philosophie. Er lernte von asiatischen wie westlichen Lehrerinnen und Lehrern. Sein längstes Retreat dauerte drei Jahre, an der «Insight Meditation Society» in Barre, Massachusetts, USA.

In seiner Meditationspraxis verbindet Fred von Allmen verschiedene buddhistische Traditionen, wobei er sich weniger für die religiöse als viel mehr für die befreiende Ebene interessiert, ebenso wie für die wissenschaftliche Erforschung von Meditation. Nebst seiner Tätigkeit als Dharma-Lehrer (Dharma bedeutet soviel wie Buddhas Lehre) bildet er selbst Lehrende aus, ist Autor mehrerer Bücher und Mitbegründer des Meditationszentrums Beatenberg.

In der buddhistischen Meditationsszene der Schweiz ist Fred von Allmen so etwas wie ein Urgestein: Ab 1974 organisierte er erste Meditationskurse mit und begann später selbst, Vipassana und andere Meditationsarten zu lehren.

Bereits als Kind suchte er nach Freiheit, lebte später als freischaffender Fotograf. Er kam mit wenig Geld aus, reiste viel und weit per Autostopp. Ende der 1960er-Jahre machte er erste Erfahrungen mit LSD. Das erschütterte seine bisherige Weltsicht, denn: «Ich erkannte, dass es auch eine innere Freiheit gibt.»

Steinstatue einer sitzenden Buddha-Figur im Wald, neben Bäumen und Gebetsfahnen.
Legende: Die Vipassana-Meditation stammt aus der buddhistischen Tradition. Ziel ist es, den Geist zur Ruhe zu bringen und die Welt bewusster wahrzunehmen. Fred von Allmen

Die fand er im Alltag aber nicht so schnell, wie es mit psychedelischen Substanzen möglich war. «Leider oder zum Glück», sagt der 81-Jährige heute schmunzelnd. Seiner damaligen Freundin, die ihn verlassen wollte, folgte er auf dem Hippie-Trail nach Indien und lernte in den Wäldern von Dharamsala den tibetisch-buddhistischen Lehrer Lama Gesche Rabten kennen. Dieser wurde später, auf Geheiss des 14. Dalai Lama, Abt im Schweizer Kloster Rikon. Bei ihm meditierte von Allmen. Inzwischen praktiziert er seit mehr als 50 Jahren: «Der Weg der Befreiung ist eben eine lebenslange Praxis.»

Schweigen allein reicht nicht aus

In Vipassana-Retreats wird schweigend meditiert. Das Ziel: Eigene Gedanken und Gefühle bewusster wahrnehmen und erkennen, wie und warum wir etwas angenehm oder unangenehm bewerten, uns damit selbst einschränken und Leid schaffen. Es geht darum, wie wir uns von diesem Leid befreien können, um gelassener und zufriedener zu werden.

Das Schweigen hat also keinen Wert an sich, sondern ist Mittel zum Zweck. Für manche sei es zu Beginn zwar ungewohnt und komisch. «Aber still werden ist wirklich nichts Grosses, obwohl so viel darüber geredet wird», betont Fred von Allmen.

Menschen sitzen in einer Meditationsgruppe und lauschen einem Vortrag.
Legende: Keine reine Schweigeveranstaltung: Den Teilnehmenden der Meditations-Retreats am Beatenberg wird auch die buddhistische Philosophie näher gebracht. Fred von Allmen

Hinzu kommt: Während eines Retreats schweigt man nicht die ganze Zeit, zumindest auf dem Beatenberg nicht. Andernorts ist das anders.

Hier aber gibt es Einzel- oder Gruppengespräche, um etwa über die buddhistische Philosophie, persönliche Schwierigkeiten oder Lebensfragen zu sprechen und Erfahrungen der Meditationspraxis auszutauschen.

Bei uns gibt es keine ‹Meditationspolizei›.
Autor: Fred von Allmen Dharma-Lehrer

Nebst dem Schweigen sollen keine Bücher gelesen werden und es soll auf das Handy oder andere elektronische Medien verzichtet werden. Nicht mal Tagebuchschreiben sei empfohlen. Ist das nicht sehr streng? Von Allmen verneint. Wer erlebt habe, welche Tiefe solch eine Struktur ermögliche, könne sich gut darauf einlassen. «Aber wir haben keine ‹Meditationspolizei›» witzelt er, «manchmal gehen die Leute im Wald telefonieren oder machen statt einer Gehmeditation eine Teemeditation».

Wer macht Vipassana?

Auf den Beatenberg kommen junge und alte Menschen, oftmals aus sozialen Arbeitsbereichen und vorwiegend Frauen. So auch Sarah Genner: Seit 15 Jahren kommt die Dozentin und selbstständige Digitalexpertin auf den Beatenberg.

Ich geniesse es immer noch, mit Menschen zu sein, ohne mit ihnen interagieren zu müssen.
Autor: Dominique Strebel Teilnehmer von Vipassana-Retreats

Die 42-Jährige erinnert sich an ihren ersten Kurs: «Ich fand es spannend, mal nicht zu reden und war überrascht, wie gut das ging. Viel radikaler fand ich, das Handy auszuschalten.» Doch auch daran hat sie sich unterdessen gewöhnt. Bei Bekannten würde die unfreiwillige digitale Auszeit nach wie vor grosses Erstaunen auslösen.

Blumenwiese vor Bergpanorama mit Wolken.
Legende: Schweigen vor atemberaubender Kulisse: der Blick hinab vom Beatenberg. Fred von Allmen

Dominique Strebel ist Chefredaktor beim «Beobachter» und schätzt das Schweigen: Sein erstes Retreat machte er 1999 bei Fred von Allmen, gleich 14 Tage lang. «Danach wollte ich gar nicht mehr sprechen, um den schönen Zustand nicht zu zerstören», schmunzelt der 58-Jährige. «Ich geniesse es immer noch mit Menschen zu sein, ohne mit ihnen interagieren zu müssen. So erlebe ich Gemeinschaft und kann trotzdem für mich sein.»

Auch Simone Buchmüller meditiert seit vielen Jahren. Sie ist Sozialarbeiterin, Supervisorin und Achtsamkeitslehrerin. Dass zwischen Reiz und Reaktion ein Raum liege und sie nicht sofort auf Dinge reagieren müsse, habe die 47-jährige durch MBSR und Meditation gelernt. «Diesen Handlungsspielraum lerne ich mit Vipassana und der Auseinandersetzung mit mir selbst immer besser kennen.»

Was ist MBSR?

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Das Kürzel steht für «Mindfulness-Based Stress Reduction» und bedeutet achtsame Stressreduktion.

Die Methode geht auf Jon Kabat-Zinn zurück. Der US-amerikanische Molekularbiologe entwickelte in den 1970er-Jahren einen achtwöchigen Kurs, der die Grundlagen der Achtsamkeit vermittelt und bei Stress, Depressionen, Rückenschmerzen oder Migräne unterstützen soll.

MBSR ist inspiriert von Vipassana und anderen Methoden der bewussten Körperwahrnehmung. Es wird heute privat, im öffentlichen Gesundheitsbereich oder auch an grossen Firmen für Mitarbeitende angeboten.

Vom Meditationskissen in den Alltag

Dem Meditieren verdankt Buchmüller zudem die Erkenntnis, dass ihr Handeln Einfluss habe. «Das wirklich zu verstehen, in aller Konsequenz, kann erschüttern.» Darum rät die Sozialarbeiterin nur jenen zum Retreat, die psychisch stabil seien. Aber sie nehme auch viel Positives mit für ihre Arbeit mit jungen Menschen oder wenn sie Krebspatientinnen und Krebspatienten psychoonkologisch begleitet. «Das berührt sehr, wenn man selbst etwas erkennt und weitergeben kann.»

Video
Archiv: Jon Kabat-Zinn, ist Achtsamkeit die neue Glücksformel?
Aus Sternstunde Philosophie vom 14.02.2016.
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Auch Dominique Strebel lässt seine Vipassana-Praxis in den Alltag einfliessen: «Es geht nicht darum, mit den Mitarbeitenden Meditationen durchzuführen.» Vielmehr wolle er Werte vorleben, die ihm wichtig seien. Als Beispiel nennt er die gesamtmenschlichen Potenziale seiner Mitarbeitenden: «Um diese zu erkennen, muss ich wirklich wahrnehmen, wer meine Kolleginnen und Kollegen sind.» Das erfordere viel Achtsamkeit. «Wenn ich ihnen gegenüber dann Wertschätzung ausdrücke oder Ansprüche stelle, möchte ich das so tun, dass sie ihre Potenziale entfalten und einbringen können.»

Alles verändert sich

Zwar führe Meditation nicht automatisch dazu, ein besserer Mensch zu sein, gibt Sarah Genner zu bedenken, aber: «Ich glaube, das grosse Ziel ist schon, dass wir uns im Zusammenleben mit anderen Menschen ethisch verhalten und versuchen, wertschätzende Persönlichkeiten zu sein, die aufs Alter hin ein bisschen weiser werden.» Sodass man zum Beispiel besser damit umgehen könne, dass alles vergänglich ist und wir eines Tages sterben werden.

Berghaus mit blumengeschmücktem Balkon und Gebirgskulisse.
Legende: Ort der Stille, der Einsicht und des Lernens: das Meditationszentrum Beatenberg. Fred von Allmen

«Klar, es gibt unterschiedliche Wege, damit umzugehen. Meditation ist wohl nicht für alle der passende Weg.» Ihr persönlich helfe es jedoch, ihre Sinneswahrnehmungen zu schärfen und «Unangenehmes anzunehmen und Angenehmes loszulassen».

Das sei keinesfalls paradox, erklärt Simone Buchmüller. Es bringe nichts, sich ans Angenehme zu klammern. Da könne man nur enttäuscht werden, weil sich alles bedingungslos wandle. Das bedeute aber auch, dass das Unangenehme sich verändere. «Das ist für mich sehr tröstlich und heilsam.»

Und wie frei und gelassen fühlt sich Fred von Allmen? Er erzählt von seinem Portemonnaie, das er kürzlich liegen liess, mit all den Karten und dem Geld: «Es war wirklich easy, obschon ich noch Wochen damit beschäftigt bin und es mich auch viel kostet.»

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Radio SRF2 Kultur, Perspektiven, 4.8.2024, 8:30 Uhr

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