Eva Baumann-Neuhaus ist Mutter von mittlerweile drei erwachsenen Kindern. Als diese noch klein waren, hat sie mit den Kindern zusammen gebetet. «Ich bin selbst religiös aufgewachsen, in einem ziemlich liberalen Elternhaus», erzählt die Religionswissenschaftlerin und ergänzt: «Bei uns gehörte das Gebet zum Alltag dazu. Das wollte ich meinen Kindern weitergeben. Ich denke, sie beten heute immer noch.»
So wie bei Eva Baumann-Neuhaus könnte eine religiöse Erziehung idealtypisch verlaufen: Die Eltern geben ihre Religiosität an die Kinder weiter, diese wiederum an ihre Kinder und so weiter. Das passiert aber von Generation zu Generation immer weniger, wie eine neue Studie für die Schweiz belegt.
Jede neue Generation ist etwas weniger religiös
«Dieses Resultat hat mich nicht erstaunt», sagt Studienmitautor Jörg Stolz. Zusammen mit Jeremy Senn untersuchte der Religionssoziologe Fragebögen von mehr als 30'000 Personen.
Ihre Antworten gaben Aufschluss darüber, wie sich seit 1930 die religiöse Praxis und Glaubensüberzeugungen in der Schweiz verändert haben. «Ob hier, in Frankreich, Grossbritannien, Deutschland oder in den USA und Australien – es zeigt sich immer dasselbe Bild: Jede Generation ist etwas weniger religiös als die vorherige», fasst Jörg Stolz von der Universität Lausanne die Ergebnisse zusammen.
Die Familie ist entscheidend
Für diesen religiösen Wandel seien Kindheit und Jugend entscheidend: «In dieser Zeit erhält man seine religiöse Erziehung. Von da an behält man die Religion ziemlich konstant durchs Leben – oder verliert sie», weiss Jörg Stolz. Mit Ausnahmen findet der Abbruch also nicht innerhalb einer Biografie statt, sondern zwischen den Generationen.
Religionswissenschaftlerin Eva Baumann-Neuhaus bestätigt, dass die Familie entscheidend für die Weitergabe von Religion ist: «Natürlich findet religiöse Erziehung auch in den Kirchen oder allenfalls Schulen statt, zunehmend auch im virtuellen Raum. Aber Werte und Grundhaltungen, die man in der Familie lernt, sind wohl am nachhaltigsten», erklärt Baumann-Neuhaus.
Sie forscht für das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut in St. Gallen und hat wie Jörg Stolz an einer grossen Studie mitgearbeitet, die Religionstrends in der Schweiz untersucht und im Februar publiziert wird.
Gründe für abnehmende Religiosität
Dass christlich verfasste Religion hierzulande mehr und mehr an Bedeutung verliert, erklärt sich Eva Baumann-Neuhaus etwa damit, «dass wir heute Religion und Spiritualität viel selbstbestimmter zusammenbauen können und die Wahl haben, irgendwo dazuzugehören oder eben nicht».
Zunehmende Modernisierung sei ein anderer Grund, sagt Jörg Stolz: «Gesellschaften, die alphabetisiert sind, in denen man modernere Geschlechterrollen findet oder in denen es einen starken Wohlfahrtsstaat gibt, sind oft auch säkularisiert.» Dies zeige sich auch für nicht-christlich geprägte Gesellschaften wie beispielsweise Japan.
Alternative Spiritualität
Es ist umstritten, dass sich westliche Länder zunehmend säkularisieren. Einerseits, weil man etwa zur Erforschung unterschiedliche Religionsdefinitionen verwendet. Andererseits, weil etwa alternative Angebote wie buddhistische Meditation, Yoga oder spirituelles Heilen bei vielen beliebt sind.
Stellt sich die Frage, ob solche Angebote einer «holistischen Spiritualität», wie Jörg Stolz sie zusammenfasst, den Abbruch traditionell christlicher Religion aufwiegen mag?
«Für den Schweizer Kontext können wir das nicht bestätigen», sagt Religionssoziologe Stolz. Allerdings würden die «Spirituellen» eine wachsende Gruppe darstellen, ergänzt Eva Baumann-Neuhaus aufgrund der neuen Trendstudie. «Das sind junge, gebildete Leute, die nicht religiös im kirchlichen Sinne sind, aber mit religiösen Erfahrungen durchaus etwas anfangen können.»
Es bleibt also abzuwarten, ob Religion konstant an Bedeutung verlieren wird – oder ob wir in einer Art Transformation stecken, deren Ausgang noch unbekannt ist.